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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Tisch in die Manege, und mit dem üblichen Reichtum grotesker Nebenhandlungen deckten sie ihn mit einem weißen Tuch und legten die Messer und Gabeln und Teller aus Gummi auf, wobei sie aufeinander einstachen, -piekten, -dolchten, daß immer wieder Lachstürme aufwehten. Sie nahmen ihre Plätze um den Tisch herum ein, steckten sich die Serviettenzipfel in den Kragen, und das Publikum schöpfte ein wenig Atem.
    Buffo leerte hinter der Manege die neue Flasche und warf sie zur Seite. Als er die gleißenden Bogenlampen sah, schlug er die Hände vors Gesicht und kreischte. »Siehst du es nicht!« schrie er zu Klein-Iwan hinunter. »Der Mond ist zu Blut geworden!« Doch der kleine Iwan verstand kein Englisch und begriff nur Buffos Aufkreischen. Der stolperte in den Ring, und das Kind lief ihm besorgt hinterher.
    Seine frische Schminke bröckelte bereits wieder ab; seine künstliche Glatze schob sich in Falten zusammen und drohte den Hut abzuwerfen. Er hob das Tranchiermesser auf und gestikulierte fürchterlich damit; von der Spitze schwebte ein ominöses Bündel roter Bänder. Klein-Iwan hatte die Aufgabe, ihm die blaue Metzgerschürze umzubinden, und er hüpfte herum und herum um den schwankenden Koloß, nun auf die eine, jetzt gleich wieder auf die andere Seite, um ihn immer wieder in eine stets bedrohte Balance zurückzuschieben, wenn er sie zu verlieren schien. Das Publikum röhrte vor Lachen, als es ihn sah, lachte, als ob nicht zu lachen die härtesten Strafen nach sich ziehen würde. Buffo der Große! Es gibt keinen mehr wie den Großen Buffo!
    Klein-Iwan führte und zerrte ihn zum Kopf der Tafel, und Buffo brach auf seinem zusammenbrechenden Stuhl zusammen. Wenn der nun folgende Kampf mit dem Stuhl den ganzen verzweifelten Mut von Jakobs Ringen mit dem Engel hatte, so hatten doch nur die Clowns den Verdacht, daß heute nacht der harmlose Stuhl in Buffos Phantasie tatsächlich die Gestalt eines durchaus nicht angelischen Widersachers angenommen hatte, und während er und der Stuhl miteinander kämpften, rückte die Tischgesellschaft etwas enger zusammen, ihre Lumpen und Fetzen raschelten, als bliese ein Wind der Verwirrung, des Entsetzens durch sie hindurch, und dann brachen auch sie wie alle Kinder im Zirkus in einen lauten Freudenschrei aus, als Buffo endlich wunderbarerweise den keinen Widerstand mehr leistenden Stuhl auf seine vier Füße stellte, den Sitz mit einem krachenden Schlag seiner Handfläche geradehieb und zu guter Letzt seinen Hintern daraufsetzte.
    Draußen kauerte Walser, das Menschliche Hähnchen, den Hosenboden vollgestopft mit Wurstgirlanden, in einer japanischen Gehorsamshaltung auf einem großen silbernen Tablett, umgeben von einem Kreis von Bratkartoffeln aus Pappmâché. Grik steckte ihm ein Sträußchen Petersilie in den Kamm.
    »Lang dir das Tranchierbesteck«, sagte Grik. »Lang dir das Besteck, nimm’s ihm ab, wenn’s geht.«
    »Wozu? Was soll das?« fragte Walser beunruhigt.
    »Im Suff kann er schon echt mörderisch sein.«
    Dann senkte sich die Kuppel auf den silbernen Präsentierteller und auf Walser und stürzte ihn in eine metallisch riechende, hallende Dunkelheit, in der wie der Klang von Wellen in einer Muschel die Echos der geflüsterten Worte des alten Clowns zischten und wisperten: »Mörderisch... mörderisch...«
    »Los geht’s«, sagten Grik und Grok. Sie hoben den Braten zwischen sich und wankten in die Manege.
    Buffo betrachtete die große silberne Deckelschüssel, die vor ihn hingestellt wurde, mit einer gewissen Überraschung. Einen Augenblick lang, nur einen Augenblick, sanken die wogenden, wirbelnden Schreckgestalten um ihn her zu einer Art turbulenter Ruhe zusammen. Das Brüllen der Menge, der Gestank nach Schminke und Naphtha, die bizarre Versammlung von Jüngern, die ihn umgab und deren Gesichter ihm zugewandt waren - dies tröstete ihn und wärmte ihn, und wenn auch jeden Moment der Hahn dreimal krähen mochte, er war doch für diesen letzten Zeitraum weniger Herzschläge - zehn, fünfzehn - noch einmal der liebende Vater, der gleich seinen Kindern das Mahl zuteilen wird. Eine letzte gnädige Berührung streifte ihn - war er nicht in der Tat selbst der Jesus, der am weißgedeckten Tisch mit seinen Jüngern beim Abendmahl saß?
    Aber wo war das Brot? Und vor allem: Wo versteckte man den Wein? Er schaute umher und konnte weder einen Laib noch eine Flasche entdecken. Ein ungeheurer Verdacht erwachte in seinen rotgeränderten Augen. Er bemerkte, daß er das

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