Nächte im Zirkus
Strategien des Verführungsdiners gehörte es zu ihren Prinzipien, reichlich zuzugreifen, und der Colonel scheute keine Kosten. Gänsebraten mit Rotkohl und Äpfeln? Das ließ sie allerdings vorbei, wählte statt dessen Wild und wechselte zu einem Rotwein, Châteauabzug. Der Colonel blieb beim Bourbon und beschränkte sein Essen nun auf Krümel von den Brötchen, die er nervös in den Händen drehte. Fevvers jedoch fand noch Platz für ein Eis zum guten Schluß, sowie für ein Glas Château d’Yquem, rülpste behaglich und nickte, als er - rotgesichtig und bereits über-eifrig dem Ereignis entgegensehend - sie zu einem letzten Drink in seine Suite einlud.
Sie genoß ihren gut gekühlten Champagner, während der Impresario neben ihr auf dem Sofa einschlief. Sie nahm ihm die Bourbonflasche aus der Hand und griff neugierig in seinen Hosenlatz, den er eben noch aufgefingert hatte, ehe er entschlummert war - sie zog an langer Schnur eine Reihe kleiner seidener amerikanischer Flaggen hervor. Sybil grunzte leise vorwurfsvoll.
»Wie ging’s?« fragte Lizzie in ihrem eigenen Hotelzimmer, in dem es stark nach Treibhausblumensträußen und dem geschmolzenen Wachs roch, das die alte Frau sorgfältig aus einer Kerze träufelte. Es sah aus wie ein Hexenritual, doch es ging um etwas gänzlich anderes.
»Hat seine Stars and Stripes nicht hochgekriegt«, antwortete Fevvers. »Britannias Rache für den Krieg von 1812. Sag mal, Liz, bist du noch nicht fertig mit der unsichtbaren Schrift?«
»Für die nächste Sendung wird es fertig sein«, erwiderte Lizzie ruhig.
Fevvers zog den Brokatvorhang zurück und schaute hinaus auf die gefrorene kleine Mondsichel, die auf dem Rücken im weiten Himmel lag. Sie seufzte. »Eigentlich eine Schande, einem netten jungen Mann so einen Streich zu spielen...«
»Noch nicht ausgeschlüpft«, urteilte Lizzie. »Die Clowns mögen ihn mit Eiern bewerfen, als ob’s Eier umsonst gäbe, aber seine eigne Eierschale, die bricht noch nicht. Er ist zu jung für dich, Mädchen. Er ist der lebende Beweis, daß Reisen nicht bildet; es macht einen Mann nur banal. «
»Bin nicht so sehr an seiner Bildung interessiert«, sagte Fevvers.
»Ach, Sophie, du brauchst nur ein hübsches Gesicht sehen -«
»Bin nicht so sehr an seinem Gesicht interessiert -«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Ein gähnender Page lieferte einen duftenden, kostbaren Hügel von Parmaveilchen ab. Ihre Glücksblume! Sie stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus: Woher wußte der unbekannte Absender das? Lizzie griff sich die Karte, die bei den Blumen gelegen hatte, las sie, preßte den Mund zusammen und warf sie ins Feuer, aber Fevvers untersuchte gierig die feuchten, mit Bändern umwickelten Blumenstengel mit ihren geschickten Schwesternhänden und entdeckte eine Chagrinlederschachtel. In der Schachtel - was Lizzies Unmut steigerte - lag glitzernd ein Diamantarmband, wie eine kalte Bandage.
»Ein hübsches Gesicht ist eines, Liz«, erklärte Fevvers und probierte gleich das Armband an, »aber Diamanten was anderes. Hier haben wir einen Mandanten, der für einiges gut ist.«
Ihre Pupillen zogen sich zu £-Zeichen zusammen.
X
Nach dem schwindelerregenden Triumph der großen Galapremiere hatte Fevvers die Blumen über (selbst die Veilchen) und sagte dem Portier des Hotel de l’Europe, er solle alle Blumengeschenke in die Entbindungsabteilung bringen lassen. Mit Einladungen überschwemmt, gestattete sie sich nur, ein einziges Abendessen zu verabreden, und das in der letzten Nacht des Aufenthaltes in der Stadt. Diese Einladung kam begleitet von einer Lederschachtel, dem Zwilling derer mit dem Diamantarmband, die ein Paar Diamantohrringe mit haselnußgroßen Steinen enthielt sowie eine Karte, die für den fraglichen Abend eine dazu passende Halskette versprach. Sie schloß daraus, daß dieser Interessent bereit war, für seine Sehnsüchte zu bezahlen - oder doch für die erhoffte Befriedigung seiner Sehnsüchte.
Am letzten Abend trug es sich zu, daß der Große Buffo - der die Stimme des Trunkenen Rußland vernommen hatte - ausgegangen war, um mit dem Affen-Mann zusammen den Abschied von der Stadt des Wodkas zu feiern. Der düstere Franzose, das erste Opfer des Festes, fiel in einer schäbigen Schnapsbude in sich zusammen und wurde wie ein Stück Holz zur Seite geräumt und liegengelassen. Der kleine Iwan war es, der auf seiner besorgten Suche in den Kneipen der Nebensträßchen Buffo noch auf den Beinen fand, wenn auch
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