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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Rendezvous, in das er große Hoffnungen setzte -, kehrte er zeitig ins Hotel zurück, um seine bläulichen Wangen noch einmal sauber zu rasieren. In hochgerollten Hemdsärmeln, um seine fest zwischen den Zähnen gehaltene Zigarre herum »Casey Jones« summend, attackierte er seinen Bartwuchs im Badezimmer der Suite mit einem langen Rasiermesser, als der Professor - in zu großer Eile, um sich an der Rezeption auf Diskussionen einzulassen - eine Regenrinne hochgeklettert kam und barsch an die Scheibe des Badezimmerfensters klopfte. Der Colonel ließ nach einigen Kentucky-Ausrufen des Erstaunens den Professor ein und drängte ihn in den Salon, wo er warten sollte, bis der Colonel sich den Seifenschaum aus dem Gesicht gewischt hatte. Als er zurückkam, saß der Professor am Schreibtisch und schrieb mit rascher Feder auf dem Briefpapier des Hotels.
    »Die Natur hat mir die Stimmbänder versagt, doch bei Monsieur Lamarck hat sie auf das Gehirn verzichtet. Er ist ein hoffnungsloser Alkoholiker ohne jeglichen Geschäftssinn. Ich beabsichtige deshalb, als Manager der ›Gelehrten Affen‹ alle Geschäfte zu übernehmen, und fordere, daß die Gage, die bisher an Monsieur Lamarck entrichtet wurde, sowie alle Spesen an mich ausbezahlt werden.«
    »Nun schau dir das an, Sybil«, wandte sich der Colonel an sein Schwein. »Die Irren wollen die Anstalt übernehmen.«
    Ungerührt schrieb der Schimpanse nun die Summe auf, die er als angemessen für die Dienste seiner selbst und seiner Kollegen empfand; die Augenbrauen des Colonels gingen nach oben, als er die Notiz sah, und er bot dem Professor einen Drink unter Freunden an - unter diesen Umständen kaum eine sehr taktvolle Offerte, und der Professor lehnte sie auch ärgerlich ab. Mit den Zähnen eine neue Flasche Bourbon entkorkend strich sich der Colonel sein von der Rasur straffgespanntes Kinn und bemerkte amüsiert:
    »Ach, hören Sie doch auf, Professor! Wenn kein Mann mit euch in der Manege ist, glauben die Leute, ihr seid bloß ein Haufen Oberschüler in Affenkostümen!«
    Der Professor gab einen unbeschreiblichen Laut von sich, der keiner Stimmbänder bedurfte, um seine Bedeutung klar auszudrücken.
    »Ich möchte doch um etwas Höflichkeit bitten, Professor! Nun, Sir, Sie wissen, was ich immer sage - befragen wir das Orakel.«
    Mit einem Grunzen hüpfte Sybil auf den Teppich, als der Colonel die Alphabetkarten ausstreute.
    »Ist noch billig«, grübelte der Colonel. »Na, Sybil, so ungern ich dir widerspreche, dieser Herr hier ist ein knallharter Verhandlungspartner. Bist du ganz sicher, daß er unersetzlich ist? Du bist es? Verdammich...«
    Er sah Sybil nachdenklich an, zum ersten Mal von einem Zweifel an ihrer Integrität befallen - daß es eine Art Solidarität unter den Tieren geben könnte, daß sie etwas wie einen Pakt gegen ihn schließen könnten, war eine beunruhigende Vorstellung, die ihm vorher nie gekommen war. Endlich streckte er widerwillig entschlossen dem Professor die Hand hin. »Ein Handschlag unter Gentlemen ist so gut wie ein Vertrag da, wo ich herkomme. Oh. Verstehe, da, wo Sie herkommen, nicht. Nun gut -«
    Zögernd setzte er sich an den Schreibtisch und formulierte einen neuen Vertrag, doch selbst dann war er gezwungen, eine Reihe von Klauseln zu streichen, und mußte dem Professor gestatten, eine zusätzliche Bestimmung anzufügen, ehe der Schimpanse unterschrieb. Er lehnte es ab, auch nur einen von Sybils Äpfeln zur Besiegelung des Abkommens zu sich zu nehmen, und fegte davon, diesmal durch die Tür; der Colonel blieb höchst irritiert zurück.
    »Schnitzel mit Bohnen«, drohte er Sybil. »Rippchen. Räucherschinken.«
    Doch sie sprang auf ihr Kissen zurück und schloß bedachtsam die Augen, jede weitere Diskussion abbrechend. Der Colonel hätte seine Rasur mit noch geringerer Gelassenheit beendet, wenn er gewußt hätte, daß der Professor beim Verlassen des Hotels die Hilfe der eben vorbeikommenden Lizzie benutzt hatte, um sich von einem Hotelangestellten ein Exemplar von Cooks Internationalem Eisenbahnfahrplan zu beschaffen.

IX
    Um die kaviargefüllten Pfannkuchen und die saure Sahne hinunterzuspülen, den Karpfen in Aspik, die eingelegten Pilze und den Räucherlachs, zog der Colonel Bourbon dem Wodka vor. Anschließend stellte er fest, daß Bourbon den Borschtsch leichter verzehrbar machte. Fevvers trank weißen Burgunder zum ersten Gang, roten Burgunder mit der Suppe und setzte ihr silbernes Besteck energisch ein. Wohlvertraut mit den

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