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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Walsers einstiger Tanzpartnerin, der eine blutige Spur hinterließ, und hinterher schritten die Hauptleidtragenden beim Leichenbegängnis der Tigerin, die Schultern in den weißen Kleidern achtlos entblößt in der eiskalten Nacht, doch beide dieser Kleider mit Blut beschmiert und das von Mignon in zerfetzten Streifen ihren Rücken hinabhängend.
    Die Prinzessin trug das Gewehr, mit dem sie die Tigerin erschossen hatte, eine unvergleichlich gezielte Kugel mitten zwischen die Augen im Augenblick, nachdem (einen einzigen Augenblick nachdem) die eifersüchtige Tigerin, ihres Partners beraubt, den Anblick nicht länger ertragen konnte, wie Mignon mit ihrem Tiger tanzte. Die Prinzessin erschoß die Tigerin sofort, als sie von ihrem Podest herunter zwischen die im Tanz kreisenden Katzen gesprungen war und ihre Klauen in Mignons Rüschen geschlagen hatte - sie erschoß die Tigerin, eben bevor sie ihre Krallen in Mignons Fleisch schlug. Doch war es Mignon, die weinte.
    Fevvers schlug das Fenster zu. Die langmähnigen Akademiker im Orchester hatten ihre Lektion gut gelernt: die Show ging in der Tat weiter. Aber die unnachgiebige Munterkeit der Zirkusmusik konnte das Geschrei der Menge nicht übertönen.
    »Keine Bange, Colonel«, sagte Fevvers. »Ich sorge dafür, daß sie’s vergessen. So was wie mich haben die noch nie erlebt.«
    Als sie ihren Mantel zu Boden gleiten ließ und ihren federbesetzten Kopfputz aufgesetzt hatte, war es, als sei ein großer und nicht unbedingt freundlich gesinnter Vogel unter ihnen erschienen. Sie warf einen Blick auf die im Spiegelglas reflektierten Reichtümer, bewunderte ihren eigenen Busen. Im Publikum rief man nach ihr. Sie legte lauschend den Kopf ein wenig schräg.
    »Dummköpfe«, sagte sie. »Wollen, daß man ihnen was vormacht.«
    Lizzie warf mürrisch den Federmantel über die Schultern ihrer jungen Freundin, und die Trapezkünstlerin stampfte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu, um sie dann noch einmal zu öffnen; ein Pfeilschuß zum Abschied:
    »Für das hier erwarte ich eine Prämie.«
    Diesmal ließ das Türenschlagen die Gasflammen zittern.
    »Sie ist in einer miesen Stimmung«, sagte Lizzie. »Sie muß und will unbedingt zu diesem Großherzog abendessen gehen. Sie hört auf keinen Rat. Stur. Und käuflich. Stur und käuflich. Haare auf den Zähnen. Hier, mein kleiner Liebling« - plötzlich auf das Schwein einsäuselnd - »willst doch sicher gern ein bißchen Schokolade, jaa?«
    Während sie in ihrer Handtasche wühlte, erholte sich der Colonel zumindest soweit, daß er sich aus der Tür warf, um Fevvers hinterherzurennen. Nachdem er an diesem Abend schon zwei Starnummern verloren hatte, wagte er es nicht, die Cockney-Venus auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Sybil, um ihre Schokolade gebracht, protestierte schrill in seinen Armen. Die klagenden Töne von »Only a Bird in a Gilded Cage« stiegen aus der Manege empor, als liefe alles nach Plan, als könne der Zirkus wie eine Boa Constrictor Wahnsinn und Tod begeistert in sich hineinfressen und wohlgenährt weitermachen.
    Walser ließ sein rasches Reporterauge durch den Raum gleiten und entdeckte eine Karte, die in den Rand eines Spiegels gesteckt war; drei Worte konnte er entziffern: »allein« und »ohne Begleitung«, ehe Lizzie ihm ein Bündel Papiere in die Hand drückte und ihn drängte, mit aller möglichen Eile damit zum diplomatischen Kurierdienst zu gehen, am besten gleich, sofort, in dieser Sekunde.
    Wäre nicht der plötzliche Stich der Eifersucht gewesen, den es ihm bei dem Gedanken an Fevvers versetzte, »allein«, »ohne Begleitung«, in ihrem grellen Kleid in den Armen des Großherzogs, dann hätte er aus reiner Neugier Lizzies Briefe angeschaut, die unbedingt noch auf die Post mußten, ehe der Zug Petersburg verließ. Hätte vielleicht den Code entdeckt, die unsichtbare Schrift. Wäre damit auf eine Geschichte gestoßen, die ihn wieder zum Journalisten gemacht hätte. So aber war er zu unglücklich, als daß es ihn gekümmert hätte, und er ließ sich von der gereizten Lizzie (der seine verletzte Miene gleichgültig war) aus dem Zimmer drängen.
    Während sie die Fläschchen und Döschen mit Rouge, Wimperntusche und Puder in Reisekörbe verstaute, Decke und Haarnadeln einpackte, das signierte Plakat aufrollte, kochte sie vor schlechter Laune wie ein Topf auf dem Feuer, und als Fevvers, leuchtend vom Applaus, wieder hereinwehte, machte sie den Mund auf -
    »Nein, nein, nein!« schnitt ihr die hoch

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