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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Tranchierbesteck in der Hand hatte und schlug leicht mit der Gabel gegen das Messer, daß die blutroten Bänder wehten.
    Der elastische Augenblick dehnte sich, und dehnte sich noch mehr, und war nun zu weit zerdehnt, um die komische Spannung noch aufrechtzuerhalten. Das Lachen erstarb. Eine Regung irritierter Enttäuschung lief durch die Menge. Obwohl Walser in der Schüssel nichts sehen und hören konnte, besaß er doch bereits soviel Bühneninstinkt, daß ihm klar war: wenn Buffo nicht mehr in der Lage war, das Entree aufzudecken, muß das Entrée selbst auftauchen.
    Walser spannte seine Muskeln wohlig, denn seine Lage unter dem silbernen Sturz war höchst unbequem und verkrampft, und er stieß ein schallendes »Kikerikiski!« aus. Der Deckel hüpfte und sprang die Tafel hinab und stieß die Gummigedecke nach allen Seiten davon. Wie Venus aus dem Schaum der Wellen stieg Walser aus seinen Beilagen auf, in einem Regen von Petersilie und Bratkartoffeln, Würste aus seinem Hosenschlitz hervorbrechen lassend, und mit flügelnden Armen rief er wieder:
    »Kikerikiski!«
    Buffo stieß ein entsetzliches Aufkreischen hervor und ließ das Tranchiermesser krachend niedersausen.
    »Oh, mein Gott !« sagte der Colonel in der hintersten Reihe; er umklammerte Sybil so fest, daß sie quiekte, biß so hart auf seine Zigarre, daß sie entzwei ging. »Mein Gott !« Er sah seinen Ruhm zergehen, seinen Heiligenschein davonfliegen.
    Doch Walser, dessen Reflexe durch seine Angst aufs höchste gespannt waren, tat in ebendemselben Augenblick einen riesigen Satz in die Luft, als er im furchtbaren Spiegel des Auges den Verstand des großen Clowns zerbrechen sah.
    Buffos Tranchiermesser fuhr nur in die Trümmer auf dem Silbertablett nieder, der Vogel war entflogen.
    Entzücktes Geheul!
    Der Heiligenschein flatterte auf den Kopf des Colonels zurück, wenn er nun auch einen unsicheren, nicht dauerhaften Eindruck machte. Der spie beunruhigt die zerstörte Zigarre aus, suchte in seiner Tasche nach einer anderen und lief dann - von einer wütenden Konvulsion Sybils getrieben - in das Foyer hinaus, um einen Arzt holen zu lassen.
    Kaum war das Menschliche Hähnchen wieder auf den Beinen, als es auf und davonlief, den ganzen langen Tisch hinunter. Buffo wurde einen Augenblick aufgehalten, als er das Messer wieder aus dem Tisch herauszog - denn sein Hieb hatte die Klinge durch die Silberplatte hindurch in das Holz darunter getrieben -, und dann nahm er mit einem hohen, wiehernden Schrei die Verfolgung auf.
    Alle Anwesenden waren sich einig, daß dies der angemessene Höhepunkt der Karriere des großen Clowns war, die Jagd nach dem Menschlichen Hähnchen, immer um die große Manege herum, rund wie ein Augapfel, im Kaiserlichen Zirkus der Kaiserstadt Sankt Petersburg. Wie die kleinen Hunde ihren Spaß an der Jagd hatten und nach den Knöcheln von Jäger und Wild schnappten und bissen, wie sie mit Wurstringen davonliefen, Fußball mit den Kartoffeln spielten, allen zwischen die Füße gerieten! Während die anderen Clowns hierhin und dorthin rannten, sich hilflos fragten, was zu tun wäre, nur besorgt, den Anschein des beabsichtigten Chaos aufrechtzuerhalten, denn die Show muß weitergehen. Und selbst wenn es Buffo gelungen wäre, am Ende sein Tranchiermesser in die Eingeweide des Menschlichen Hähnchens zu bohren, hätte keiner in dieser großen Versammlung fröhlicher Menschen glauben dürfen, daß dies wirklicher Totschlag wäre - man hätte sie statt dessen glauben gemacht, es sei der Gipfel des Witzes.
    Und nun begann Buffo in seinem Delirium zu zittern. Es durchrüttelte und durchzitterte ihn auf das schrecklichste, er fing an, sein Gesicht furchtbar zu verzerren und sich so zu winden, daß sein immenser Leib überall zugleich zu sein schien, sich scheinbar in ein Dutzend Buffos auflöste, bewaffnet mit einem Dutzend mörderischer Messer, von denen allen blutige Fetzen wehten, und wie er auch springen und hüpfen mochte, Walser konnte keinen Ort in der Manege finden, wo Buffo nicht war, und er gab die Hoffnung für sein Leben auf.
    Warum rannte Walser nicht aus der Manege hinaus, denselben Weg zurück, den man ihn hereingetragen hatte? Weil der Ausgang bereits von den Eisengittern des Käfigs der Prinzessin blockiert war und die Katzen, die Blut und Wahnsinn witterten, unruhig murrten und mit hin- und herschlagenden Schwänzen auf- und abschritten; die beiden Mädchen starrten hinter dem Gitter hervor, besorgt, bis schließlich die Prinzessin die

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