Nächte im Zirkus
aufragenden Frau das Wort ab. »Ein für allemal, du kommst nicht mit, du hinkst mir nicht hinterher wie eine gottverdammte alte Kupplerin, wie du das immer bringst, du alte Kuh.«
»Na, paß nur gut auf dich auf«, sagte Lizzie finster. »Verfluchte Aristokraten. Man kann den verfluchten Aristos nicht trauen.«
Nachdem sie ohne Hilfe ihr Make-up entfernt und ihr Abendkleid angezogen hat, sitzt Fevvers vor dem Spiegel und begrüßt vorgelehnt ihr wirkliches Gesicht mit einem strahlenden Lächeln.
»Heute hier, morgen dort. Tatsächlich, Lizzie, sind wir sogar heute schon nicht mehr hier; schon heute abend dort. Der Zug fährt um Mitternacht ab, oder? Na, den kann ich ja gar nicht verpassen, und wenn es noch so schlimm wird.«
Sie warf einen bedeutungsvollen Blick auf die stehengebliebene Uhr und lachte.
»Pah!« sagte Lizzie. »Wenn du glaubst, ich würde auch nur einen Finger rühren, um dir zu helfen, dann täuschst du dich aber gewaltig, mein Kind. Es ist die reine Geldgier und nichts anderes bei dir.«
»Was kann ein bißchen Schampus mit einem Großherzog schaden, Liz? Nichts, wenn die Kutsche draußen wartet, Menschenskind. Hat er nicht gesagt, er schenkt mir heute abend die passende Halskette? Solang ich nur alleine komme. Ich will dich nicht dabeihaben - du verdirbst mir mein Flair, du ranzige alte Madam. Kannst du mir grade mal das Haar hochmachen?«
Lizzie ging mürrisch zum Spiegel, doch sie konnte nicht widerstehen und küßte den wehrlosen Nacken ihrer Ziehtochter, während sie die Locken hochsteckte.
»Paß gut auf dich auf.«
»Du würdest bei der geringsten Chance eine Handgranate auf den armen alten Herrn werfen. Ich ziehe da subtilere Strategien vor.«
Mit der großen Geste eines Zauberkünstlers zog sie ein vergoldetes Spielzeugschwert aus dem Korsett und führte ein paar Fechtstöße damit aus.
»Bedenke doch, daß ich bewaffnet in den Kampf gehe, Lizzie! Methode Nelson. Glaubst du, ich würde ausgerechnet heute abend meine Waffe daheimlassen?«
Lizzie streckte die Hand aus, um mit dem Daumen die Schärfe der Klinge zu prüfen.
»Geh auf die Eier los, wenn’s zum Schlimmsten kommt«, riet sie zufriedengestellt.
In ihren roten und schwarzen Spitzen tat es dem Auge weh, Fevvers anzusehen, und sie war noch dazu strahlendgerötet, nachdem sie gerade dem Zirkus nach der Katastrophe den Sieg gerettet und die Erinnerung an den Wahnsinnigen und das Raubtier durch das Flügelwunder ihres Erscheinens ausgelöscht hatte. Sie fühlte sich heute nacht übernatürlich begabt. Sie wünschte sich Diamanten zum Essen.
Am Hoftor stand eine prächtige droshky für sie bereit, hinter einem melancholischen Wagen vom Pferdemetzger. Während ein in Pelze gehüllter Lakai Fevvers in das eine Gefährt steigen half, warf der Starke Mann die Leiche in das andere.
Unter all dem Hin und Her des Abbaus, wo Arbeiter und Stallburschen in alle Richtungen durcheinanderliefen, Pferde wieherten, wo das Klirren der Elefantenketten sich erneuerte, als die Wärter die großen Füße der Kälte wegen in Lederstiefel schoben, trat nun der Professor auf.
Er trug eine prallgefüllte Reisetasche in der einen Hand und eine glänzend neue Aktenmappe in der anderen. Seine Kollegen marschierten hinter ihm. Alle trugen feste Wintermäntel, und ein oder zwei hatten die breiten Schaffellmützen oder chapkas der Bauern auf, die sie auf dem Markt gekauft hatten, um ihre Ohren warm zu halten. Alle waren mit Taschen beladen, mit Pappkoffern und Hutschachteln, oder sie trugen kleine Lederkoffer auf den Schultern. Einer hatte eine zusammengeklappte Tafel dabei. Verfolgt wurden sie von dem erregten Colonel; Sybil, ausnahmsweise mit eigener Kraft sich fortbewegend, begleitete ihn in raschem Schweinsgalopp.
Der Colonel holte den Professor ein, ergriff ihn an den Schultern und schüttelte ihn, daß er seine Aktenmappe verlor. Dies machte den Professor furchtbar wütend, er kreischte und schnatterte, und der Colonel verlegte sich offensichtlich auf einen eher besänftigenden Ton und begann zu bitten und zu argumentieren. Sybil richtete sich einmal auf die Hinterfüße auf und legte einen beschwörenden Fuß auf den Arm des Professors. Der streichelte sie abwesend, doch er hielt nicht inne in seinem emphatischen Kopfschütteln und zeigte nun dem Colonel ein Stück Papier, bedeckt mit Wachssiegeln, das er aus einer Innentasche zog. Er wies mit einem klobigen Finger auf eine mit roter Tinte angestrichene Vertragsklausel, die am Rand mit
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