Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
Vom Netzwerk:
Klatschen der Tropfen, die von ihrem Ebenbild fielen. Als sie ihre Nase schmelzen hörte, wurde ihr schwindlig.
    »Na gut«, sagte sie trotzig. Als das Licht wieder anging, hatte sie ihr Umschlagtuch abgenommen, und der Großherzog trat hinter sie, um sich die Doppel-Schwellung ihres Mieders genau zu besehen.
    »Aber Anfassen ist nicht!« sagte sie. Selbst in dieser Situation lag ein stählerner Ton in ihrer Fischweibstimme, der ihn seine Hände bei sich behalten ließ.
    Wie innerlich-geheimnisvoll seine Eier waren! Und in der Tat voller Überraschungen. Denn dies hier ist aus rosa Emaille: Es öffnet sich der Länge nach und enthüllt eine innere Schale aus Perlmutter, die sich wiederum öffnet und eine hohle Dotterkugel aus Gold zeigt. Im Dotter eine goldene Henne. In der Henne ein goldenes Ei. Nun sind wir bei liliputanischen Maßstäben angelangt, doch noch nicht fertig: In dem Ei steckt der allerwinzigste aller Bilderrahmen, mit kleinsten Brillanten besetzt. Und was enthält der Rahmen anders als eine Miniatur der aerialiste selbst, die Flügel gebreitet wie auf dem Trapez und mit blonden Haaren, blauen Augen, wie im Leben.
    Trotz des wachsenden Gefühls des Kleinerwerdens, des Sichverringerns, das sie empfand, und trotz der merkwürdigen Formen, welche die Musik aus den Ecken des Raums erschuf, fühlte sich Fevvers durch dies winzige Kompliment geschmeichelt, und ihr grobschlächtiger Sinn für Gerechtigkeit sagte ihr, daß es nur angemessen war, dem Großherzog zu gestatten, mit den Händen über ihre Brüste zu streicheln und durch ihre Achselhöhlen zu fahren. Nachdem er festgestellt hatte, daß sie nicht aus Gummi war, seufzte er (vielleicht vor Genugtuung) und fing wieder an, das unter dem roten Satin raschelnde Gefieder zu betasten.
    Quieken, Klirren, Dröhnen und Klatschen von unten. Quieken, Klirren, Dröhnen, Klatschen!
    Ein schlichtes Ei aus Jade saß in der nächsten Vitrine in einem juwelenbesäten Eierbecher, als warte es auf den öffnenden Schlag des Löffels. Fevvers blickte den Großherzog erwartungsvoll an, trotz ihrer Unruhe eifrig wie ein Kind. Sie erriet, daß sich hinter diesem Ei mehr verbarg. Er unterbrach sein Gefinger einen Moment.
    »Lassen Sie mich diesen kleinen Schlüssel drehen...«
    Da sie sah, daß sich sein Glied nun unter dem Kord seiner Reithosen markant abzeichnete, überlegte sie sich, daß er in gewisser Hinsicht doch wie andere Männer sein mußte, und streichelte es mit einer raschen, beruhigenden Bewegung, wie um ihm klarzumachen, daß es noch ein wenig warten mußte.
    Die Eischale fiel in zwei hohle Wölbungen auseinander, die einen kleinen Baum zum Vorschein brachten, der in einem Kübel aus weißem Achat stand, besetzt mit goldenen Spalieren. Der Baum war mit Blättern bedeckt, die einzeln aus dunkelgrünen Halbedelsteinen geschnitten waren. Die goldenen Zweige waren mit Blüten bestreut, die aus vierfach um einen diamantenen Mittelpunkt herum geöffneten Perlen bestanden, und mit Früchten aus Zitrin. Der Großherzog löste widerwillig seine Hand von ihren Forschungen unter den Schulterblättern seiner Besucherin und berührte eine dieser Früchte. Auch sie fiel auseinander, und heraus flog der kleinste aller Vögel, den man sich nur vorstellen kann, aus rotem Gold geschaffen. Er drehte den Kopf nach allen Seiten, schlug seine Schwingen und öffnete den Schnabel, und hervor drang ein schrillsüßes Zwitschern: »Only a Bird in a Gilded Cage.« Fevvers fuhr zusammen. Der Vogel beschloß den Refrain, faltete die Flügel, und die Jadeschale schloß sich wieder.
    Trotz all des Entzückens, das sie beim Anblick dieses herrlichen Spielzeugs spürte, empfand Fevvers diesen Baum und diesen Vogel als äußerst beunruhigend und wandte sich mit dem Gefühl unmittelbarer und tödlicher Gefahr von der Vitrine.
    Aufgepaßt, wiederholte sie bei sich.
    Quieken. Klirren. Dröhnen. Klatschen; Quieken. Klirren. Dröhnen. Klatschen. Und sie kam sich unsicherer und unsicherer vor, weniger und weniger Herrin der Lage. Walser hätte diese Empfindung, von der sie nun umklammert wurde, wiedererkannt: Er hatte so ziemlich dasselbe erlebt, als es in der Garderobe im Alhambra zum dritten Mal Mitternacht geschlagen hatte.
    Vielleicht verliere ich hier wirklich den Überblick, dachte sie. Ach, Lizzie, Lizzie, mein Liebling! Wo bist du nun, da ich dich brauche!
    Trotz allem - da alles seinen Preis hat und er für so viel Bemühungen eine gewisse Entschädigung verdient hatte - griff sie hinter

Weitere Kostenlose Bücher