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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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und scharfe kleine Augen aus roten Juwelen. Die Figur stand auf zwei stämmigen Füßen, bedeckt mit einander überlagernden Schuppen aus gehämmertem Gold. Statt eines Schnabels trug sie eine Flöte, eine aus Elfenbein in komplizierten Windungen geschnitzte Flöte.
    Es gab auch ein Saiteninstrument: eine Harfe oder Lyra in Gestalt einer hohlen Frau oder besser: einer Frau ohne Torso. Denn da waren Kopf, Schultern und Brüste, und da ein Becken, aber zwischen den Brüsten und dem Becken nichts außer einer Reihe von Saiten, die oben und unten an Wirbeln befestigt waren. Auch Arme hatte sie, Arme, ausgebreitet in einer flehenden Geste, die ganz zufällig war, denn die Arme waren einfach so stehengeblieben, als der Uhrwerkmechanismus das letzte Mal abgelaufen war. Ihre Arme endeten in wunderschönen, subtil in allen Gelenken beweglichen Händen mit Fingern und Fingernägeln, nichts fehlte, und sie war aus Gold, mit Perlmuttnägeln, und einer Masse Haar aus goldenem Draht, und schönen Augen aus Lapislazuli auf weißem Emaille. Gereizt durch einen beiläufigen Luftzug gab sie spontan ein einziges gespenstisches Saitenklirren von sich.
    Das Schlagwerk sah am wenigsten beunruhigend aus. Es bestand nur aus einem Bronzegong, der in einem Ebenholzrahmen hing, doch ein Schlegel war nicht zu sehen.
    Der Großherzog betrachtete sein Uhrwerkorchester mit zufriedener Miene. Ein gelangweilter Kaiser hatte sich die Figuren vor langer Zeit in China fertigen lassen. Ein Mandarin hatte den Kaiser ermordet, um sie an sich zu bringen. Ein gelangweilter Vorfahr des Großherzogs hatte den Mandarin ermordet, um sie selbst zu besitzen. Sie hatten den wahren Glanz, die unbezahlbare Aura von Gegenständen, die nur für das Vergnügen da sind, die unreine Lockung des absolut Funktionslosen. Wieder drückte der Großherzog auf einen Knopf.
    Der Gong regte sich von selbst und dröhnte in zartem Donner. Die goldene Schulter der Harfenfrau rührte sich und setzte mit dieser Bewegung einen komplizierten verborgenen Mechanismus von Rädern und Zügen in Gang, welche ihre Ellenbogen hoben und die Hände bis zu ihrer Herzstelle brachten, gegen die Saiten. Die goldenen Finger, die perlmutternen Fingernägel krümmten und streckten sich. Sie schlug einen Akkord in sich selbst an, während der große Vogel auf seiner Nase eine seltsame, tritonische Beinahe-Melodie blies, die ihre mathematischen Kombinationsmöglichkeiten durchlief, in einer Zeit, die nicht diesem Planeten anzugehören schien, sondern einem fernen und frosterstarrten Anderswo.
    Fevvers dachte: In dem Vogel steckt eine Spieldose. Und jeder, der eine Kuckucksuhr zusammenbasteln kann, kann auch diese Harpyie konstruieren. Und der Gong wird durch elektrische Impulse gelenkt. Trotz allem sträubten sich ihr die Nackenhaare leise, und der Großherzog lächelte sie befriedigt an, als wäre es schon immer sein Wunsch gewesen, daß sie sich vor ihm fürchte.
    Das erste Mal in ihrem Leben lehnte sie Champagner ab.
    Nun trat noch eine rhythmische Note zu den seltsamen Harmonien: Ein Tropfen fiel von der Nase der eisgeformten Fevvers und schlug klingend gegen den Glasrand der Kaviarschale. Einen bestürzten Moment lang war ihr, als sei ein Diamant geschmolzen.
    Der Großherzog reichte ihr den Arm: Kommen Sie auf die Galerie und sehen Sie sich den Rest meiner Sammlung an! Sein Atem, wodka-glühend, sengte ihre Wange, die von Augenblick zu Augenblick kälter wurde, wie die fremde Geometrie der traumhaft-zirkulären, nicht ganz und doch beinahe zufälligen, völlig unmenschlichen Musik die Winkel des Raumes verformte.
    Die Galerie war mit einer langen Reihe Glasvitrinen besetzt, die so geschickt mit einer gedämpft-indirekten Beleuchtung versehen waren, daß jeder Glaskasten wie eine eigene kleine Welt in sich glänzte.
    »Meine Eier«, sagte der Großherzog, »stecken voller Überraschungen.«
    Glaub’s gern, dachte Fevvers.
    Doch jede Vitrine enthielt ein Ei, wahrhaftig ein Ei, ein wunderbares Ei, das keinem Huhn entstammte, sondern der Werkstatt eines Juweliers, und er erklärte ihr, sie könne sich aussuchen, welches Ei sie haben wolle, sobald sie ihren Umhang abnähme und ihm ihre Flügel zeigte.
    »Erst das Ei.«
    »Hinterher.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    Der Großherzog zuckte die Achseln und drehte ihr den Rücken zu. Mit einem Mal erloschen alle Lampen im Raum, und sie stand im Dunklen, nur das Piepen, Klirren, Rattern der künstlichen Musikanten drunten zur Gesellschaft, und das leise

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