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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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hervorplatzen, hinaufflattern und mit ihrem Raub davonfliegen, ehe noch die Suppe serviert worden war - sie war ja schließlich ein anständiges Mädchen! Oder etwa nicht? Sie schluckte die gestaute Gier hinunter. Gleich würde sie trotzig und mürrisch dreinschauen.
    »Nun...«, sagte sie und sank auf ein Sofa, wo sie ihre langen schwarzen Handschuhe auszog, damit sie etwas zu tun hatte. Der Großherzog ergriff eine Hand, sobald sie bloßlag, und preßte seinen bärtigen Mund gegen ihre Handfläche, was ihr das Gefühl nasser, drängender, unangenehmer, haariger Hitze gab.
    »Mögen Sie in der Wärme meines Hauses schmelzen, so wie sie schmilzt«, murmelte er mit einem Nicken in die Richtung der Eisstatue. So weit kommt’s noch, dachte Fevvers, nahm ihre Hand weg und wischte die Spuren von Speichel, die er hinterlassen hatte, an einer Serviette ab. Seine Begrüßung gefiel ihr nicht; sie warf einen nervösen Blick auf die Eisskulptur, um sicherzugehen, daß sie noch nicht zu schmelzen begonnen hatte.
    Er war ein Mann von mittlerer Größe in einem hervorragend geschnittenen grünsamtenen Smokingjackett. Sein Französisch entsprach seinem Stil. Er besaß eine grenzenlose Anzahl Werst schwarzer Erde, Kiefernwald und öder Tundra, unter welcher Öl hervorsprudelte. Fevvers hielt ihr spanisches Tuch eng um sich geschlungen. Sie vermied es, seinem Blick zu begegnen. Er glaubte, sie sei von allem überwältigt. Sie schätzte verblüfft den abgenutzten Perser unter ihren Füßen und fügte eine weitere Null zu ihrem Preis (in englischen Pfund) hinzu, dafür, daß sie ihm einen runterholen würde.
    Er bot ihr Wodka an. Sie war froh um einen Drink, betrachtete aber mit Mißtrauen den Stapel von Gläsern neben der Flasche: beabsichtigte er, nachher seine Freunde hereinzubitten? Nein, jetzt stellte er lächelnd die Gläser zu einer Reihe lateinischer Buchstaben auf. Sie beobachtete sein Arrangement mit zusammengekniffenen Augen vorsichtig, bis ihr klar wurde, daß er die Lettern ihres Namens mit den Wodkagläsern schrieb. Ihr Taufname: S-O-P-H-I-A. Aber - woher weiß er das?
    Ooooha, dachte sie. Das alte Schauergefühl aus dem Märchen: Es geht jemand über mein Grab. Sie haßte es, wenn Fremde sie Sophia nannten.
    »Ein alter russischer Brauch«, sagte er mit einer steifen leichten Verneigung zu ihr. »Zu Ihren Ehren.«
    Dann füllte er alle Gläser bis zum Rand mit Wodka.
    Er kann ja auf keinen -
    Eins nach dem anderen leerte er sie. Sie zählte hypnotisiert. Fünfunddreißig.
    Und immer noch aufrecht!
    An diesem Punkt kam sie zu der Ansicht, daß der Großherzog nicht war wie andere Männer, und hätte sich beinahe gewünscht, daß sie Lizzie doch hätte mitkommen lassen.
    »Ein wenig Kaviar?« lud er sie ein.
    Sie liebte Kaviar, den sie am liebsten mit einem Suppenlöffel aß, und sie hielt es für das Beste, sich für das, was immer auf sie zukommen mochte, zu stärken. Während sie zulangte, sagte der Großherzog: »Sie werden beim Souper Musik zu hören bekommen. Sie müssen wissen, daß ich ein großer Sammler von allen möglichen objets d’art und Wunderdingen bin. Ich liebe nichts mehr als Spielzeug - wundervolle und unnatürliche Artefakte.«
    Er blinzelte ihr auf eine Weise zu, die sie sowohl unanständig wie beleidigend fand. Ob er wohl - fiel ihr ein - die Geschichte des Colonels glaubt? Meint er, ich sei wirklich aus Gummi? Wenn ja, was glaubt er, wo der Kaviar hingeht?
    Er drückte auf einen Knopf an der Seite des Kachelofens, und ein Abschnitt der Bücherregale, mit denen die Wände bedeckt waren, flog auf. Die goldgeprägten Lederrücken waren die ganze Zeit nur trompe l’œil gewesen! Ein Musikantentrio, versammelt auf einem runden, auf Rädern laufenden Podium, kam aus der dunklen Höhlung in der Wand hervorgerollt. Die Wand fiel mit einem sanften Klappen wieder zu.
    Diese Musikanten waren beinahe ausgewachsen, etwa von der Größe sizilianischer Marionetten, nur ein wenig kleiner, als wir es sind und gebildet aus Edelmetallen, Halbedelsteinen und dem Gefieder von Vögeln - wobei letzteres Fevvers erschauern ließ wie einen Cowboy, der einen blonden Skalp am Gürtel eines Indianers hängen sieht.
    Und eine der Figuren war auch in der Form eines Vogels geschaffen, einer Drossel oder Nachtigall, aber eines sehr großen Vogels, und der kunstreiche Handwerker, der sie gemacht hatte, hatte ihr ein Josephsgewand, einen bunten Rock aus allen möglichen weichen, dunklen, wein- und topasfarbenen Tönen gegeben

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