Nächte im Zirkus
der Erlaubnis der Regierung eine private Anstalt zur Unterbringung weiblicher Krimineller ihres eigenen Schlages eingerichtet hatte.
Es wäre irrig, anzunehmen, daß dies aus einer Regung schwesterlicher Solidarität heraus geschehen wäre. Wenn sie selbst im Verlauf der Jahre nie die genaue Zusammensetzung der Würzmischung vergaß, die sie dem Borschtsch und den Piroschki ihres Seligen zugesetzt hatte, so beruhigte sie das Gewissen, welches sie plagte, indem sie selbst einen Kanal, eine Art Leitung für die Erweckung der Reue anderer Mörderinnen darstellte, oder zumindest diesen Anspruch erhob.
Mit der Hilfe eines französischen Kriminologen, der sich in die Phrenologie vertieft hatte, wählte sie aus den Gefängnissen der großen russischen Städte Frauen aus, die wegen der Tötung ihrer Ehegatten verurteilt worden waren und deren Schädelbildung die Möglichkeit einer Errettung andeutete. Sie richtete ihr Gemeinwesen nach den strengstmöglichen wissenschaftlichen Richtlinien ein und ließ es durch die weiblichen Häftlinge selbst erbauen - derselben Logik folgend, welche die mexikanischen federales veranlaßte, ihre vor der Erschießung stehenden Gefangenen das eigene Grab schaufeln zu lassen.
Es war ein Panoptikon, das sie sie zu errichten zwang, ein Ring von Zellen um einen freien Raum, deren nach innen gehende Wände aus Stahlgittern gebildet waren; mitten in dem überdachten Innenhof stand ein ringsum von Fenstern umgebenes Gemach. In diesem Zimmer saß sie täglich, den ganzen Tag, und sie starrte und starrte und starrte ihre Mörderinnen an, und die wiederum saßen den langen Tag und starrten auf sie.
Es gibt viele Gründe, weshalb eine Frau ihren Mann ermorden könnte, und meist gute Gründe. Mord mochte der einzige Ausweg sein, sich noch einen Rest, einen Petzen von Würde zu bewahren - zu einer Zeit, an einem Ort, wo Frauen juristisch einfach zum Hab und Gut zählten oder, mit Tolstois berühmtem Vergleich, wie Weinflaschen galten, die man austrank und dann am besten zerschlug. Keine vernünftige Frau hätte der Gräfin P. einen Vorwurf daraus gemacht, daß sie ihren dicken, dummen, plumpen Grafen vergiftet hatte, wenn auch die Mischung aus Langeweile und Habgier, die sie antrieb, ihre privilegierte Stellung anzeigte: Sie litt genügend Muße, um sich langweilen zu können; der Reichtum ihres Mannes erregte ihre Habsucht. Was aber Olga Alexandrowna betraf, die dem betrunkenen Zimmermann einen Beilhieb versetzte, der sie einmal zu oft durch die Stube geprügelt hatte - Olga Alexandrowna handelte aus der Überzeugung heraus, daß das Auge des Herrn selbst über den Sperling wacht und deshalb sogar über eine solch schwache, furchtsame und unwürdige Kreatur wie sie, so daß das Leben, welches sie unter den Schlägen verlassen wollte, sicherlich im Weltenplan ebenso großen Wert besaß wie das Leben des Mannes mit den Fäusten - vielleicht, da sie eine liebende Mutter war, mehr. Es stellte sich aber heraus, daß der Gerichtshof anderer Ansicht war, und so litt sie eine Zeitlang große Qualen, als sie entdecken mußte, daß das Gericht sie für eine sündhafte Frau hielt.
»Du hast Glück«, sagte der Wärter der Gefangenen, nachdem der Phrenologe ihren Kopf gemessen und dem Gericht die Bitte unterbreitet hatte, die Verurteilte der »Wissenschaftlichen Anstalt zum Studium weiblicher Verbrecher« der Gräfin zu überstellen. Wahrlich ein Glück! Keine Zwangsarbeit, keine Peitschenhiebe für Olga, die nun dem Seminar der Gräfin bestimmt war. Und der Wärter lachte, vergewaltigte sie und kettete sie an. Am nächsten Tag begann ihre Reise nach Sibirien.
In den Stunden der Dunkelheit waren die Zellen erleuchtet wie ein Kreis kleiner Theater, in denen jede Schauspielerin allein in der Falle ihrer unablässigen Sichtbarkeit saß, in jenen Zellen, geformt wie die Portionen eines großen Kranzkuchens. Die Gräfin saß in ihrem Observatorium auf einem Drehstuhl, dessen Geschwindigkeit sie beliebig regulieren konnte. Immer herum, immer im Kreis drehte sie sich, manchmal mit großer Schnelligkeit, manchmal langsam, und nahm mit ihren eisblauen Augen (sie war preußischer Abstammung) die unglücklichen Frauen im Rund unter Beschuß. Das Tempo wechselte sie ständig, so daß die Insassinnen nie im voraus erraten konnten, in welchem Moment sie ihrer Überwachung ausgesetzt sein würden.
Wie die Lilien auf dem Felde arbeiteten die Insassinnen der Anstalt nicht und spannen nicht, genau wie Olga Alexandrownas
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