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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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schlimmer sein.
    Tatsächlich sieht es aus, als hätten wir im Speisewagen alle Glück gehabt. Da kommt Mignon hervorgekrochen! Mit einem blauen Auge, verursacht durch eine fliegende Cognacflasche, aber sonst unverletzt, zieht sie die Prinzessin unter einer Moräne von Geschirr und Besteck hervor, das sie geschnitten, gekratzt und betäubt hat. Lizzie untersucht sie rasch, nichts gebrochen, aber wecken kann sie die Prinzessin nicht, sie bleibt ohnmächtig... Was den Colonel angeht, so muß er wohl aus Gummi sein, nicht ich, so wie er jetzt aus den Trümmern hervorgehüpft kommt, sein Schwein sicher im Jackett verstaut. Hat Sybil mit all ihrer Begabung als Orakel dieses Chaos vorhergesehen? Wohl kaum. Ihre Halskrause zählt allerdings zu den Opfern, platt wie ein Pfannkuchen. Der Colonel streift sie ab - von jetzt an wird dieses kleine Schweinchen nackt herumlaufen.
    Von meinem jungen Mann nichts zu sehen.
    Dann sah ich, in den Ruinen des Salonwagens, ein großes Wunder. Denn die Tiger waren alle in die Spiegel eingegangen. Wie soll ich es beschreiben? Der Salonwagen lag auf seiner Seite, aufgerissen wie das Geschenkpapier um ein Weihnachtsspielzeug von einem ungeduldigen Kind, und von all den herrlichen Geschöpfen nicht eine Spur von Blut oder Sehnen, nichts. Nur überall haufenweise die Scherben zerbrochener Spiegel, die die lodernde Nacht um uns in tausend gezackte Fragmente zerlegten - so daß man hätte meinen können, mit genügend Zeit oder Geduld hätte man alles wieder zusammenfügen können, und alles wäre wie zuvor gewesen, der Wald, die Ebene, die Doppelspur der Eisenbahnlinie, welche die hübschen kleinen Eisenbahnwagen zur Unendlichkeit des Horizonts trägt, und der qualmende Zug, der mir jetzt als eine Art Fehdehandschuh schien, der Natur hingeworfen, eine Provokation, welcher die Natur sich gestellt hatte - sie hatte den Handschuh aufgehoben und ihn verächtlich auf die sich windende Erde zurückgeworfen, wo er in Stücke zersprang.
    Und die Tiger... als hätte die Natur sie wegen ihres unnatürlichen Tanzens mißbilligt, waren sie in ihre eigenen Spiegelbilder eingefroren und erstarrt und zersprangen zu Stücken, als die Spiegel zerbrachen. Als hätte sich die brennende Energie, die man zwischen den Gitterstäben ihres Fells ahnen konnte, in einem großen Aufbäumen antwortend mit der Energie vereinigt, welche dem Feuer um uns entströmte, und als hätten sie, indem sie explodierten, ihre Erscheinung auf das Glas geworfen, in dem ihnen sterile Doppel erwachsen waren. Auf dem einen zerbrochenen Spiegel-Teilchen eine Tatze mit blanken Krallen, auf einem anderen ein Knurren. Als ich einen Teil einer Tigerflanke aufhob, verbrannte das Glas meine Finger, und ich ließ es rasch fallen.
    Mignon hatte die Prinzessin in ihre Arme gezogen. Gelegentlich - selbst nach Art der Tiger tuend - leckte sie die Stirn an ihrer Schulter. Doch was soll die Dompteuse tun, wenn die Tiere verschwunden sind? Oder Orpheus ohne seine Leier? Denn ich war mir nicht klar darüber, wo ihr eigenes Klavier hingeraten sein mochte, und das Harmonium aus dem Salonwagen lag in einzelnen Teilen im schmelzenden Schnee.
    Es war eine frostkalte Nacht, doch der Schnee schmolz in der Hitze. Droben standen die Sterne prächtig wie nie.
    Und von meinem Clown keine Spur.
    Der Rest von Clown Alley fing jedoch an, unter den Trümmern der Holzklasse sich zu regen und emporzutauchen, wischte sich die Fetzen aus den Augen - gewöhnt an Katastrophen, wie sie es nun einmal waren, mochte es für sie nicht mehr als eines der ihnen vertrauten brennenden Vehikel sein. Ihre Hunde schüttelten sich und rannten herum und schnappten nach allem und jaulten und liefen allen zwischen die Beine. Und ihn konnte ich immer noch nicht finden.
    Obwohl ich meine Arme noch gebrauchen kann, ist mir etwas unbehaglich. Stell dir vor, du hättest einen zusätzlichen Arm, am Rücken, und der hängt schlaff herunter, er ist gebrochen.
    Ich kniete mich in den Speisewagen und grub in einer Halde von Kalbskoteletts, die aus dem Eisschrank hervorgebrochen sein mußten und einen Punkt verdeckten, wo meine verwunderten Augen eine Bewegung erhascht zu haben glaubten. Und die Schaffner und Lokomotivführer und jeder einzelne der Kellner, alle, wie es schien, noch in einem Stück, kamen her und drängten sich um mich und hinderten meine Suche, als sie nach den Wodkavorräten des Zugs zu fahnden begannen, doch von dem jungen Mann, der mein Ziel war, nicht einmal ein großer Zeh oder ein

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