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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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waren.
    »Kann dies tatsächlich dasselbe zerlumpte Kind sein, das vor so kurzen Wochen um eine milde Gabe zu mir kam?« dachte Fevvers. »Die Liebe, die wahre Liebe hat sie vollständig verwandelt.« Als sie daran dachte, daß die Gegenwart der geliebten anderen Mignon so schön machte, bissen ihr kleine Tränen in den Augen, denn sie, Fevvers, wurde täglich häßlicher.
    Der Colonel brummte und seufzte, aber er bestand nicht auf seiner Aufforderung. Ihr Auftritt entwickelte sich in eine Richtung, die nicht sehr profitabel schien. »Perlen vor die Säue«, hätte er wohl gesagt, wenn seine Wertschätzung für Sybil nicht so groß gewesen wäre.
    Und der Starke Mann? Der Colonel, der sich seiner Auftritte erinnerte, lockte ihn mit Ruhm und Geld und machte ihn darauf aufmerksam, daß alles, was er von den Frauen hier erwarten konnte, Freundschaft war. Samson räusperte sich und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, ehe er sprach.
    »Mein ganzes Leben bin ich stark und dumm gewesen und - ein Feigling, ich habe die Schwäche meines Inneren hinter meiner Körperstärke versteckt. Ich habe den Frauen Gewalt angetan und verächtlich von ihnen gesprochen, da ich mich wegen meiner Muskeln dem ganzen Geschlecht überlegen fühlte, obwohl ich in Wirklichkeit zu schwach war, die Last der Liebe einer einzigen Frau zu ertragen. Ich bin nicht eitel genug, zu glauben, daß eines Tages Mignon oder die Prinzessin sich in mich als einen Mann verlieben werden - vielleicht werden sie mich eines Tages als Bruder lieben. Diese Hoffnung nimmt meinem Herzen die Furcht, und ich werde es lernen, unter den Tigern zu leben. Mein Geist wird stärker, je länger ich Diener bin.«
    Die Prinzessin und Mignon reichten ihm ihre Hände, als er mit seiner kleinen Ansprache fertig war, und schüttelten ihm die Hand, aber ein Ausdruck leichter Verlegenheit ging über sein Gesicht, und er trat hastig nach draußen, um noch einmal Holz zu holen.
    »›Aus der Stärke kommt die Süße‹ wie es auf den Golden Syrup -Dosen steht«, sagte Lizzie. »Wer hätt’s gedacht. Ein anderer Samson.«
    Fevvers kickte inzwischen die Gräten auf dem Boden umher und schaute aufsässig drein. Um die unausgesprochene Frage des Colonels zu beantworten, verkündete sie in einer rauhen, zornigen Stimme:
    »Was mich betrifft, so werde ich die entgegengesetzte Richtung einschlagen wie Sie, Sie dreckiger Bastard. Ich werde nach dem jungen Amerikaner suchen, den Sie in Ihren Zirkus gelockt haben und den Sie jetzt unter den Heiden seinem Schicksal überlassen wollen!«
    Der Colonel zertrat den letzten Rest seiner letzten Zigarre unter dem Absatz, warf einen Blick unendlichen Bedauerns auf die faserigen Reste und rollte sich in Ermangelung einer weiteren Zigarre einen Streifen Notizpapier zu einem Röhrchen, auf dem er zu kauen begann. Er schaute seinen einstigen Star verstohlen von der Seite an. Die Gefiederte Putzfrau, Höhepunkt des Abends.
    Von der Begrenzung durch das Korsett befreit hing ihre einst aufsehenerregende Figur schlaff da, als rinne der Sand aus der Stundenglasform, und das mußte der Grund sein, warum sich die Zeit in dieser Region nicht im regelmäßigen Gang halten konnte. Sie mochte sich nicht das Gesicht waschen, so daß noch Krümel Rouge in ihren Poren hausten und überall auf ihrer Haut Pickel und Reizflecken auftauchten. Ihr nunmehr größtenteils mausfarbenes Haar hatte sie sich irgendwie hochgebunden und mit dem Rückgrat eines Karpfens festgesteckt. Seit sie sich nicht mehr die Mühe machte, ihre Flügel zu verbergen, hatten sich die anderen schon so an den Anblick gewöhnt, daß er nicht länger bemerkenswert schien. Außerdem hatte ein Flügel alle seine leuchtenden Farben verloren und der andere war bandagiert und nutzlos. Wie lange, bis sie wieder fliegen würde? Wo war die stumme Aufforderung geblieben, sie anzusehen, die sie ehemals unter allen hatte herausragen lassen? Weg; und unter den Umständen mußte sie dafür noch dankbar sein, jetzt sollte sie besser darum bitten, daß man sie ignorierte. Sie war so schäbig, daß sie wie ein Betrug aussah, und wie es dem Colonel schien: ein billiger Betrug. Trotzdem rief er freudig:
    »Sie brechen den Kontrakt?«
    Fevvers’ Kopf fuhr auf.
    »Was! Keine Bezahlung?«
    »Keine«, konstatierte der Colonel mit boshaftem Vergnügen. »Und im Kleingedruckten steht, daß Sie - wenn Sie jetzt aus dem Vertrag aussteigen, ehe wir nach Yokohama kommen, von Seattle mal zu schweigen - die ganze Summe

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