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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Konservatoriums von der Regierung einen fetten Betrag eingesackt hatte. Wie? fragte der Musiker vorsichtig. Den Bären die Tonleiter beibringen und die Akkorde den Raben und Goldaugen? Nein, nein, nein! versicherte ihm der Bürgermeister und goß wieder Wodka ein. Die kleinen Töchter der Pelzhändler, der Regierungsbeamten, der Stationsvorsteher, Schwellenleger und Streckenarbeiter werden in Ihr Konservatorium strömen, und außerdem, welche ungeahnten Talente mögen sich nicht unter den Kindern der eingeborenen sibirischen Bauern selbst entdecken lassen! Der Wodka half ihm, unwiderstehliche Bilder des ungenutzten musikalischen Talents des Gebietes zu malen. Vor dem warmen Ofen in Nowgorod entbrannte der Idealismus des Maestro.
    Doch der Maestro hatte nicht genug Erfahrung, um zu wissen, daß er nicht aus dem Holz war, aus dem man Pioniere schnitzt, noch war ihm klar, daß der Bürgermeister ihn sofort, nachdem er seinen Betrug erfolgreich abgewickelt hatte, vollkommen vergessen würde. Da er nicht einmal das Fahrgeld nach Hause besaß, saß der Maestro bald mittellos in dem Haus, das ihm meilenweit von der Stadt entfernt als Musikakademie zugeteilt worden war, und nur sein Klavier, sein Zylinder und sein Schild an der Tür erinnerten ihn daran, was er einmal gewesen war. Er war in tiefe Verzweiflung versunken gewesen, als sie kamen, wie ein Wunder.
    »Es ist, als hätte er seine längst verschollene Tochter wiedergefunden«, sagte Lizzie. »Wie am Ende einer der späten Shakespeare-Komödien. Nur hat er zwei Töchter gefunden. Happy End, im Quadrat. Hör sie dir an.«
    Der Maestro und die Prinzessin spielten vierhändig Harmonien, während Mignon mit gefurchter Stirn die Grundelemente des Kontrapunkts studierte. Bei dem eifrigen Unterricht des alten Maestro begann sie eine ungewöhnliche kompositorische Begabung zu zeigen.
    Fevvers, die zusah, wie der Fisch kochte, brummte, es freue sie zu hören, daß wenigstens jemand glücklich sei. Ihre Flügelfraktur - sie hatte sich bei ihrem Flugversuch erneut den Flügel gebrochen - war nun mit den Angelruten des Maestro bandagiert, und Lizzie verschrieb ihr für den Augenblick nachdrücklich Ruhe, reichliche Nahrung und nochmals Ruhe. Sie verhielt sich den Vorstellungen ihrer Ziehtochter gegenüber, man müsse sofort aufbrechen und den jungen Amerikaner aus den Klauen des Waldvolkes befreien, völlig gleichgültig. »Hat so ausgesehen, als wäre er da ganz zu Hause. Hat sich in seiner Kleidung ganz angepaßt, oder?«
    »Aber es ist noch keine Woche her, daß wir auseinander sind! In einer Woche wird man doch nicht zum Eingeborenen!«
    »Ich weiß nicht, ob es erst eine Woche her ist, seit wir ihn aus den Augen verloren haben«, sagte Lizzie. »Hast du seinen langen Bart gesehen?«
    »Den Bart hab ich gesehen«, stimmte ihr Fevvers unsicher bei. »Was soll das heißen, du weißt nicht, ob es erst eine Woche her ist...«
    Lizzie wandte der anderen Frau ein Gesicht von solchem Ernst zu, daß selbst der Schamane beeindruckt gewesen wäre.
    »Es geht etwas vor. Etwas, von dem wir nichts wissen, Liebes. Bedenke, wir haben unsere Uhr verloren, bedenke, der alte Zeiten-Vater hat viele Kinder, und ich glaube, irgendein Bastard der alten Zeit hat diese Gegend als sein Erbteil bekommen, denn wenn wir uns die Länge von Mister Walsers Bart und die Geschicklichkeit ansehen, mit der er auf dem Rentier geritten ist, dann ist die Zeit wundersam rasch für dieses Waldvolk vergangen - oder vergeht noch immer so.
    Vielleicht«, sagte sie grübelnd, »geht ihre Zeit rasch zu Ende.«
    Fevvers war von diesen Spekulationen nicht sehr beeindruckt. Sie löffelte Fischbrühe, probierte, schnitt ein Gesicht, wühlte im Küchenschrank des Maestro und fand kein Salz. Das fehlte nun wirklich noch. Reichlich Futter und nichts Richtiges zu essen. Wenn sie nicht ihren Stolz gehabt hätte, wäre sie jetzt weinend zusammengebrochen.
    Ihr Elend wurde dadurch verschärft, daß sie nun wußte, wie nahe und doch fern der junge Amerikaner war, der ihr so gut gefiel. Verschärft, nicht aber im Grunde hervorgerufen. Ihre Umdüsterung hatte andere Gründe. Erschreckte sie die Geschwindigkeit, mit der sie ihr gutes Aussehen verlor? War es das? Sie schämte sich, es zu gestehen, aber es war ihr, als bräche ihr Herz, wenn sie in den Spiegel schaute und die leuchtenden Farben welken sah. Und doch war es noch mehr, noch etwas anderes. Sie wußte, daß sie einen entscheidenden Teil ihrer selbst an irgendeinem Punkt des

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