Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
Vom Netzwerk:
schlossen sich ihre Zehen und Finger, wie die Pfoten eines Hundes, der von Kaninchen träumt. Oder sie stöhnte leise oder stieß einen schwachen Schrei aus, und zuweilen lachte sie ganz, ganz leis, was überaus sonderbar war.
    Und einmal, als Fanny und ich in einer Nacht am Backgammonbrett saßen und nur wenig Betrieb war, rief das Wunder, das dieser Träumerin gerade eine Maniküre machte, plötzlich aus: ›Oh! Entsetzlich!‹
    Denn unter den Wimpern hervor quollen ein paar Tränen.
    ›Und ich hatte gedacht‹, sagte das Wunder, ›sie sei allem Leiden entrückt.‹
    Obwohl sie von so kleiner Gestalt war, war das Wunder von Wiltshire ebenso vollkommen geformt wie ihre historischen Vorläuferinnen - die hübsche kleine Vertraute von Königin Elizabeth, Mrs. Tomysen, oder jene Anne Gibson, die den kleinen Herrn geheiratet hat, der Miniaturen malte, oder die wunderschöne Anastasia Borculaski, die klein genug war, unter dem ausgestreckten Arm ihres Bruders zu stehen, und der Bruder war selbst ein kleiner Mann. Außerdem war das Wunder eine höchst kunstreiche Tänzerin und konnte die Beine in die Luft werfen, daß es war, als öffne sich eine kleine Stickschere.
    Also sag ich mal zu ihr: ›Wunder, warum würdigst du dich selbst herab und arbeitest in diesem Haus, das nun wirklich ein Haus der Schande ist, wenn du auf der Bühne dein gutes Auskommen hättest?‹ ›Ach, Fevvers‹, antwortet sie, ›lieber zeig ich mich einem Mann und dann dem nächsten als einem ganzen Theater voll von den schlimmen ekelhaften haarigen Dingern - und hier bin ich sicher vor der schmutzigen, finsteren Menge der Welt draußen, in der ich so viel gelitten habe. Unter den Monstern bin ich gut versteckt: Wer sucht nach einem Blatt im Walde?
    Laß dir sagen, wie ich zur Welt gekommen bin; das war so. Meine Mutter war eine lustige Kuhmagd, die nichts mehr liebte als einen Streich. In der Nähe unseres Dorfes stand ein Hügel, ganz rund und vom Gras überwuchert, aber beinahe hohl, weil er durch und durch mit Gängen durchsetzt war, wie die Gänge von Generationen von Mäusen. Ich habe sagen hören, dieser Hügel sei keine Naturform, sondern ein riesiges Grab, ein Ort, wo die, die vor uns in Wiltshire gelebt haben, vor den Normannen, vor den Sachsen, selbst noch ehe die Römer kamen, ihre Toten bestattet haben, aber die Leute im Dorf nannten das den Elfenhügel und wichen ihm nachts aus, denn sie glaubten, wenn es schon kein verfluchter Ort sei, dann doch sicherlich einer, wo uns Menschen seltsame Schicksale und Verwandlungen zustoßen konnten.
    Meine tolle Mutter aber, angestachelt vom Sohn des Gutsherrn, der mit ihr um ein silbernes Sixpencestück wettete, sie würd’s nicht wagen, der Tunichtgut, meine Mutter hat einmal eine ganze Mittsommernacht in dieser Hügelburg verbracht. Sie nahm sich etwas Brot und Honig mit und eine Kerze und drang dann bis in die Kammer im Herzen des Hügels vor, wo ein langer Stein lag, ganz wie ein Altar, aber wahrscheinlich eher der Sarg eines längst schon toten Königs von Wessex.
    Auf dieses Grab setzte sie sich nieder, um ihr Vesper zu verzehren, und nach und nach erlosch ihre Kerze, daß sie nun im Dunkeln saß. Eben als sie ihre unbedachte Kühnheit zu bereuen begann, hörte sie leise, leise Schritte. ›Wer ist da?‹ ›Aber Meg - wer anders als der König der Elfen?‹ Und dieser unsichtbare Fremdling legte sie sogleich auf die Steinplatte und gab ihr solche Lust - so sagte sie zumindest - wie noch nie ein Mann zuvor oder danach. ›In dieser Nacht war ich wirklich im Elfenreich!‹ sagte sie; und der Beweis war nach neun Monaten mein winziges Auftauchen auf der Welt. Sie bettete mich in eine Walnußschale, deckte mich mit einem Rosenblatt zu, packte meine Windeln und mein Zeug in eine Haselnuß und trug mich fort nach London, wo sie sich für einen Shilling pro Nase als ›Die Elfen-Amme‹ sehen ließ, während ich wie eine Klette an ihrer Brust baumelte.
    Aber alles, was sie einnahm, ging für das Trinken und die Männer wieder dahin; sie war ein leichtlebiges Stück. Als ich zu groß geworden war, um mich noch länger als Säugling auszugeben, sagte ich: ›Mutter, so geht es nicht weiter! Wir müssen an unsere Versorgung und an das Alter denken!‹ Sie lachte herzlich, als sie ihre Tochter so daherpiepsen hörte, denn ich war erst sieben Jahre alt und sie noch keine fünfundzwanzig, und es war ein schwarzer Tag für mich, als ich es mir in den Kopf setzte, dieses unbesonnene Geschöpf auf die

Weitere Kostenlose Bücher