Nächte im Zirkus
Zukunft hinzuweisen, denn ich hatte Erfolg: Sie verkaufte mich.
Für fünfzig goldene Guineen bar auf die Hand verkaufte mich meine eigene Mutter einem französischen Konditor mit Korkenzieherschnurrbart, der mich ein paar Jahre lang in seinen Torten servierte. Die große Kochmütze verwegen-schräg auf dem Kopf kam er mit seinem Silbertablett aus der Küche und setzte es vor dem Geburtstagskind ab, denn der Patisseur besaß immerhin noch soviel Gefühl, daß ich nur Kindern als Überraschung vorgeführt wurde. Das Geburtstagskind blies die Kerzen aus und hob das Messer, um die Torte anzuschneiden, aber der Bäcker hielt die eigene Hand auf dem Griff, um die Klinge zu führen, damit ich nicht aus Versehen verletzt und sein Eigentum beschädigt würde. Dann sprang ich aus dem Loch, in einem flitterbesetzten Kleid, und tanzte um die Tafel, wobei ich Luftschlangen, kleine Geschenke und Bonbons verteilte.
Aber manchmal brachen die genäschigsten Kinder in Tränen aus und sagten, das sei gemein, sie wollten Kuchen und keinen Besuch aus dem Elfenreich.
Vielleicht wegen der Umstände meiner Zeugung habe ich schon immer unter Klaustrophobie gelitten. Ich konnte die Enge dieser ausgehöhlten Torten kaum ertragen. Mit größter Angst wartete ich auf den Augenblick meiner Gefangensetzung unter dem Zuckerguß, und ich bat und flehte meinen Herrn an, mich freizulassen, aber er drohte mir mit dem Backofen und sagte, wenn ich nicht seinen Befehlen gehorchte, würde er mich das nächste Mal nicht in der Torte auftragen, sondern mich in einen vol-au-vent hineinbacken.
Schließlich überwältigte mich eines Tages die Angst. Ich kletterte in meinen Sarg, ließ den Deckel über mir sich schließen, ertrug die rüttelnde Kutschenfahrt zur Adresse des Kunden, wurde ohne große Umstände in der Küche auf das Silbertablett umgeladen, und dann kam der Gang zur Tafel. Halb ohnmächtig, schwitzend, vor Luftmangel in der runden Enge - nicht größer als eine Hutschachtel - beinahe erstickend, angewidert vom Geruch der Eier und der Butter in der Backmasse, klebrig vor Zucker und Rosinen, konnte ich es nicht mehr länger ertragen. Mit der Kraft einer Besessenen stieß ich meine Schultern durch die Teigkruste hindurch und tauchte vor meiner Zeit auf, mit Zuckerguß bedeckt, Krümel aus meinen Augen zwinkernd. Mein Hervorbrechen warf nach allen Seiten die Kerzen um und ließ kandierte Veilchen durch die Gegend prasseln.
Das Tischtuch fing Feuer, und all die lieben Kleinen heulten Zeter und Mordio, als ich die lange Tafel hinabraste, mein Haar und mein Tüllkleid in Flammen, verfolgt von dem wütenden Konditor, der sein Kuchenmesser schwang und schwor, er würde mich als Leckerbissen verspeisen.
Ein Kind aber verlor in diesem Chaos die Fassung nicht; sie saß ernsthaft unten an der Tafel, bis ich ihren Teller erreichte, worauf sie ihre Serviette über mich warf und die Flammen löschte. Dann hob sie mich auf und schob mich in ihre Tasche und sagte zu dem Konditor: ›Gehen Sie weg, Sie schrecklicher Mann! Wie können Sie es wagen, ein menschliches Wesen so zu quälen?‹
Wie sich herausstellte, war dieses kleine Mädchen die älteste Tochter des Hauses. Sie trug mich ins Kinderzimmer davon, und die Kinderfrau tat mir kühlende Salbe auf meine Verbrennungen und zog mir ein Seidenkleid an, welches die eigene Puppe der jungen Dame für mich opferte, obwohl ich mich durchaus selbst hätte anziehen können. Später am Abend, nach dem Essen, wurde ich Mama und Papa vorgestellt, die noch über ihrem Kaffee saßen (von dem sie mir auch gaben, da er in Tassen serviert wurde, deren Größe für mich gerade recht war). Papa schien mir wie ein Berg, dessen Gipfel vom Rauch seiner Zigarre verhüllt wurde, aber was für ein guter, freundlicher Berg! Und nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, so gut ich es vermochte, stieß der Berg eine purpurne Qualmwolke hervor, lächelte Mama an und sprach. ›Nun, kleine Frau, es scheint, als bliebe uns nichts anderes übrig als dich zu adoptieren.‹ Und Mama sagte: ›Ich muß mich schämen. Ich hätte nie gedacht, daß dieser furchtbare Auftritt mit dem Kuchen einem lebenden Wesen ein Leid bedeuten könnte.‹
Sie behandelten mich auch nicht wie ein Haustier oder ein Spielzeug, sondern wahrhaftig wie jemand ihresgleichen. Ich empfand bald tiefe Zuneigung zu dem Mädchen, das mich gerettet hatte, und sie zu mir, so daß wir unzertrennlich wurden, und wenn meine Beine den ihren nicht mehr folgen konnten, trug
Weitere Kostenlose Bücher