Nächte im Zirkus
Rosinenpudding; und den Rest - der ja einen Reichtum dargestellt hätte, von dem die meisten berufstätigen Frauen nicht zu träumen wagen -, von dem sahen wir nie auch nur einen Penny. Sie ›legte das für uns in ihrem Safe zurück‹ - ha! Ein Witz! Die fünf Sovereigns, die ich ihr am Tag meiner Ankunft aus der Nase gezogen hab, das war das einzige Geld, das ich während der ganzen Zeit meiner Arbeit dort zu Gesicht bekommen habe.
Denn in dem Moment, in dem die Eingangstür hinter dir ins Schloß fiel, warst du ihre Gefangene. Tatsächlich warst du ihre Sklavin.«
Liz, nun wieder zu Fevvers’ Füßen hingekauert, zog am Saum des Morgenrocks der Trapezkünstlerin.
»Erzähl ihm von Dornröschen«, drängte sie.
»Ach, was für ein tragischer Fall, Sir! Sie war die Tochter eines Landpfarrers, fröhlich und lebendig wie ein Heimchen, bis sie eines Morgens in ihrem vierzehnten Jahr - an ebendemselben Tag, an dem ihre Menses begannen - nicht erwachte, erst gegen Mittag, und am Tage darauf erst zur Teestunde, und am nächsten Tag, als ihre besorgten Eltern neben ihrem Bett wachten und beteten, öffnete sie abends ihre Augen und sagte: ›Jetzt wär ein wenig Milchsuppe schön.‹
Also richteten sie sie mit ein paar Kissen auf und fütterten sie mit dem Löffel, und als sie alles aufgegessen hatte, sagte sie: ›Ich könnte um nichts in der Welt die Augen offenhalten‹, und schläft wieder ein. Und so ging es fort. Nach einer Woche, einem Monat, einem Jahr, kam Madame Schreck, die durch einen Zufall von diesem einzigartigen Fall gehört hatte, in das Dorf und gab sich als philanthropisch interessierte reiche Dame aus, die sich des armen Mädchens annehmen und die besten Ärzte hinzuziehen würde, und Dornröschens Eltern, schon etwas bejahrt, konnten ihr Glück kaum fassen.
Man lud sie auf einer Bahre in den Gepäckwagen des Zugs nach London, und so kam sie nach Kensington, wo ihr Leben sich fortsetzte wie zuvor. Stets wachte sie bei Sonnenuntergang auf, wie Blumen, die sich nachts öffnen - sie aß, sie füllte eine Bettschüssel, sie schlief wieder ein. Nur mit einem Unterschied: Jede Nacht zur Mitternacht hob Toussaint den träumenden Körper empor und trug sie in die Krypta. Sie war wohl etwa einundzwanzig, als ich sie kennenlernte, bildhübsch, wenn auch ein wenig ausgezehrt. Ihr weiblicher Ausfluß wurde weniger und weniger, während sie schlief und schlief, bis er am Ende kaum mehr ihre Binde fleckte und schließlich ganz vertrocknete, aber ihr Haar wuchs immerfort, bis es so lang war wie sie selbst groß. Fanny unternahm es, dieses Haar regelmäßig zu kämmen und zu bürsten, denn die alte Vieraug war eine zärtliche Frau mit einem liebevollen Herzen. Die Finger- und Zehennägel wuchsen dem Dornröschen ebenfalls weiter, und es war die Aufgabe des Wunders von Wiltshire, sie zu pflegen, wegen der wundervollen Geschicklichkeit ihrer kleinen Finger.
Weil das Gesicht von Dornröschen so dünn geworden war, wirkten ihre Augen besonders groß und eindringlich, und ihre geschlossenen Lider waren dunkel wie die Unterseite von Pilzen und mußten in all den langen durchschlummerten Jahren sehr schwer geworden sein, denn jeden Abend, wenn sie ihre kleinen Fensterchen beim Nahen der Dunkelheit öffnete, kostete es sie eine größere, immer noch größere Anstrengung, als ob es der ganzen matten Kraft bedurft hätte, die ihr noch geblieben war, die Fensterläden aufzutun.
Und jedesmal fürchteten wir, die wir wachten und mit ihrem Abendessen warteten, diesmal könnte es das letzte Mal sein, daß sie sich so tapfer anstrengte, zu erwachen; fürchteten, daß vielleicht der weite, unbekannte Ozean des Schlafes sie an diesem Abend mit seiner geheimnisvollen Strömung, auf der sie wie ein Wrack dahintrieb, so weit von der Küste hinweggetragen haben könnte, daß sie nicht mehr zurückkehren würde. Aber während ich im Haus von Madame Schreck war, erwachte das Dornröschen noch jedesmal lange genug, um ein wenig Hühnerfrikassee oder einen Löffel Süßrahm zu sich zu nehmen, und sie schied ein wenig in die Bettschüssel aus, Halbflüssiges, welche ihr Fanny unterhielt. Dann versank sie mit einem kurzen Seufzen wieder unter dem weichen Gewicht ihrer Träume.
Denn Sie dürfen nicht glauben, daß sie traumlos schlief. Unter jenen weichen geäderten Häutchen bewegten sich die Augäpfel unaufhörlich hin und her, als sehe sie seltsamen Tänzen zu, die über die Innenseite ihrer Lider zogen. Und manchmal zuckten und
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