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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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nahm sein Gesicht den gewohnten Ausdruck verwirrter Unschuld an, ständigen Staunens darüber, wie es auf der Welt hergeht.
    Der Starke Mann war naiv, er konnte keine besonderen Tricks für seinen Auftritt. Während der Pausen zwischen den einzelnen Nummern, während der Käfig oder die Trapeze vorbereitet wurden, während die Clowns herumtobten, schritt Samson um den Ring und hielt ein Pferd über seinen Kopf erhoben.
    Ja, er war sehr stark, und - wie er im Innersten wußte - ein geistiger Schwächling. Jedoch war er - und dies wußte er nicht von sich selbst - höchst sentimental, so daß er die ganze Zeit, als er die Frau des Affen-Mannes vögelte, nicht groß über sie nachdachte, nur wahrnahm, daß sie leicht zu haben war, doch sobald sie mit dem Clown davonging (wie er annahm) und ein Bad nahm und frisiert wurde, ein schönes Kleid bekam, ein Star wurde!, da flog das Herz in ihm jedesmal auf die andere Seite wie ein Pfannkuchen bei dem Gedanken, daß er nun nie mehr sein mächtiges Glied in ihr unterbringen würde. Doch glaube niemand, daß in der Geschichte der Welt nicht schon große Liebe aus noch unwahrscheinlicheren Ursachen entstanden ist. Wenn der Starke Mann bei dem Anblick, wie der Tiger mit Mignon hinweg, für immer aus seiner Reichweite hinaus tanzte, sein Herz brechen fühlte, mag er sentimental gewesen sein, doch es brach tatsächlich. Aus dem Riß hervor mochte eine neugeborene Empfindungsfähigkeit feucht ihren Kopf hervorrecken.
    Während alle unentschlossen im Raubtierhaus herumsaßen, hörte man ein Geräusch von Schleifen, Zerren, Anstoßen: der Professor trat ein und zog den besinnungslosen Affen-Mann an den Füßen hinter sich her. Der Professor mußte sich sehr anstrengen und ließ das auch merken: keuchend, schnaufend und schweratmend war er sich der Würdelosigkeit seines Unternehmens peinvoll bewußt. Der Kopf des Affen-Mannes schlug bei jedem Zerren an den Stiefeln gegen die Pflastersteine, aber das Lächeln auf den bewußtlosen Zügen blieb fest.
    »Mein Mann!« sagte Mignon.
    »Auf, Samson, mein Alter, geh mal her und hilf dem armen haarigen Herrn da, bevor er einen Herzklaps kriegt«, sagte Fevvers. Der Starke Mann erhob sich gehorsam und schlang sich die Enden des Tuchs fest um die Hüften. Er schleppte den Affen-Mann weg ins Bett; der Professor trottete nebenher und schimpfte schnatternd vor sich hin vor lauter Empörung.
    Fevvers machte eine Bemerkung auf Deutsch, die Mignon lächeln ließ, eine auf Französisch, die auch die Prinzessin zum Lächeln brachte, doch sie lächelten nicht Fevvers zu, sondern sie lächelten einander an, und eine weiße Hand und eine braune streckten sich aus und erfaßten einander.
    »Soweit dieses.« Endlich wandte sie sich an Walser. »Schnappen Sie sich Ihre Klamotten und kommen Sie mit, Kollege. Lassen wir die Turteltauben hier alleine.«
    Turteltauben? Aber ja.
    Hand in Hand gingen die Mädchen nun in den Käfig zurück, wo die Tiger ihren Nachmittag verschliefen, denn die Prinzessin lehrte Mignon neue Lieder. Sie würde also nicht in der Manege singen: auch gut. Um so besser! Dann würden sie in liebevollem gemeinsamem Alleinsein die Musik auskosten, die ihre Sprache war, in der sie den Weg zueinander gefunden hatten.
    Als der Starke Mann von den Affen zurückgelaufen kam, rüttelte er - die ausgesperrte Liebe - an den Käfigstangen, die ihn von der Geliebten fernhielten, doch das musikalische Paar hörte ihn nicht, so sehr waren sie versunken.
    Der Professor, nun allein, durchsuchte die Taschen des Affen-Mannes. Er zog die Brieftasche hervor, fand, was er suchte - Monsieur Lamarcks Vertrag mit dem Colonel -, las ihn durch und zerriß ihn. Er sah den bewußtlosen Mann mit einem durchdringenden Blick reiner tierischer Verachtung an. Dann nahm er den Mantel des Affen-Mannes vom Fuß des Bettes, damit er sich unbemerkt in der Menge bewegen konnte, und eilte davon.
    Im Hof stieß er auf Walser, der zum zweiten Mal an diesem Tag sein Gesicht unter der Pumpe wusch, um Blut und verschmierte Schminke loszuwerden. Der Professor ergriff seinen verletzten Arm, was ihn zusammenfahren ließ, und zog ihn - nachdem er, gereizt wie er war, andererseits sein Bedauern zu zeigen versucht hatte - auf die Gasse hinter dem Hof hinaus. Obwohl Walser, der nur ein Handtuch trug, nachdrücklich protestierte, machte der Professor ihm klar, daß er wollte, der Clown solle ihm eine Droschke rufen.
    Da der Colonel an diesem Abend mit seinem Star essen gehen wollte - ein

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