Nächte in Babylon
war heiß und schwer, er fröstelte und war gleichzeitig schweißgebadet. Genau über ihm hing seine Mutter in ihrem Plastikkokon. Auf dem Kopf stehend öffnete sie die Augen, stierte ihn verächtlich durch die Plane an und sagte cochon . Dann saß Amalie neben ihm und streichelte ihm übers Haar. Wie lieb von ihr, dass sie sich auf den weiten Weg gemacht hatte, damit er nicht allein sein musste. Er fühlte sich geborgen bei ihr. Geborgen wie in jener Nacht, als sie in seinen Armen schlief. Wie gern hätte er sie noch einmal in die Arme genommen, doch jetzt hörte er Annas Stimme, und sie war da. Sie saß nackt am anderen Ende des Dachbodens und sagte zu ihm: Es wird Zeit … Und er hatte Angst, dass Amalie eifersüchtig wurde, und er wandte sich zu ihr, aber sie war nicht mehr da, und als er sich wieder zu Anna umdrehte, war sie auch verschwunden, und Perec glühte und fror und war panisch vor Einsamkeit. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so gefürchtet.
Am frühen Morgen stand Spandau rauchend auf der Veranda und trank eine Tasse Kaffee. Mit wehendem Morgenrock kam Anna aus dem Haus.
»Dann willst du wirklich abreisen?«
»Das ist wohl die vernünftigste Lösung.«
»Ich wette, ich weiß, warum. Weil es kein Vorspiel gab, stimmt’s?«
Spandau lachte.
»Und ich kann dich nicht umstimmen? Auch nicht mit einem hysterischen Weinkrampf?«
»Damit machst du es mir bloß noch schwerer. Ich habe auf der ganzen Linie versagt, Anna. Ich bin eine Null, eine totale Niete.«
»Und ich dachte schon, ich hätte mit dir das große Los gezogen.«
»Wenn ich jetzt nicht gehe, gehe ich gar nicht mehr.«
»Soll das so was wie ein Kompliment sein?«
»Erraten.«
»Du machst einen großen Fehler, Herzchen, und nicht nur, weil ich ganz kurz davor bin, dich um einen Gnadenfick anzubetteln. Das sage ich nicht oft – wenn überhaupt –, aber: Ich bin die Richtige für dich. Ich bin die Frau, die du brauchst. Ausgefallenes Vorspiel hin oder her. Natürlich könnte ich jetzt behaupten, dass ich nicht auf dich warten werde, aber du weißt genauso gut wie ich, dass es gelogen wäre.«
Sie wandte sich zum Gehen. »Du kapierst das schon noch. Meine Herren, Cowboys sind ja so was von belehrungsresistent. Aber wenigstens weiß ich jetzt wieder, warum ich es damals in Texas nicht mehr ausgehalten habe.«
Sie verschwand im Haus.
Spandau gesellte sich zu Vignon und Special, die am Pool standen und sich unterhielten.
»Sie hat mir erzählt, dass du abreisen willst«, sagte der Franzose.
»Sie wollen sich doch wohl nicht den dramatischen Höhepunkt der Show entgehen lassen?«, fragte Special.
»Es gibt keinerlei Hinweise, dass der Knabe im Anmarsch ist«, widersprach Vignon. »Die Polizei fahndet nach ihm. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn schnappen. Und selbst wenn er uns aufspüren könnte, wieso sollte er jetzt noch Kopf und Kragen riskieren?«
»Weil er ein durchgeknallter Irrer ist und nicht so denkt wie wir«, sagte Special. »Das ist genau das Problem. Ich hab’s in seinem Tagebuch gelesen. Der scheißt sich einen Dreck darum, ob er geschnappt wird. Der scheißt sich ja sogar einen Dreck darum, ob er lebt oder stirbt. Er weiß, dass er nicht mehr zurückkann. Er hat nichts zu verlieren. Wenn Sie ihn fragen, ist er eine Leiche auf Abruf.«
»Von mir aus können wir das Grundstück und das umliegende Gelände zur Sicherheit ruhig noch einmal absuchen«, sagte Vignon. »Auch wenn es Schwachsinn ist. Ich habe mir die Baupläne angesehen. Das Haus ist eine Festung. Es gibt nur zwei Wege hier rein: durch das Tor oder über die Mauer. Das schafft der nie.«
»Aber Sie glauben immer noch, dass er kommt?«, wollte Spandau von Special wissen.
»Worauf Sie einen lassen können. Der gibt erst auf, wenn er tot ist. Bis dahin würde ich an Ihrer Stelle bei Tisch noch ein weiteres Gedeck auflegen.«
Vignon und Spandau durchkämmten die Umgebung. Der Franzose hatte recht: Die Mauern waren unbezwingbar. Da sich das Weingut ein Stück weit den Hang hinunter erstreckte, arbeiteten sie sich langsam bergab vor. Es dauerte nicht lange, da stieß Vignon auf das rostige Gitter.
»Was haben wir denn hier?«
Nachdem sie Äste und Gestrüpp beiseitegeräumt und das kleine Tor geöffnet hatten, holte Vignon eine Taschenlampe heraus und leuchtete in den Tunnel.
»Sieht aus wie der Abluss des alten Weinkellers«, sagte er. »In den Bergen gibt es jede Menge Kalksteinhöhlen, die sich ideal für die Lagerung eignen. Aber da passt
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