Nächte in Babylon
Perec. »Ich werde Sie töten.«
»Und wie wollen Sie das anstellen? Ich bin hier unten, Sie sind da oben. Oder wollen Sie mich vielleicht totquatschen?«
»Ich habe einen Kassettenrekorder dabei. Sie sollen um Gnade betteln. Ich nehme Ihr Gewinsel auf und spiele es Anna vor. Sie soll hören, was für eine jämmerliche Heulsuse Sie sind. Sie soll wissen, dass Sie nicht halb so ein toller Hecht sind, wie sie glaubt.«
»An Anna kommen Sie so oder so nicht ran. Ganz egal, was Sie mit mir machen.«
»Wenn Sie wüssten …«
Ein Schlag auf den Kopf.
»Wollen Sie jetzt endlich winseln? Na los doch. Winseln. Bittebitte sagen.«
Eine Dachlatte prallt von der Wand ab, verpasst Spandau eine Schramme und landet schwimmend in der Brühe.
»Hoffentlich haben Sie es nicht eilig. Ich habe hier unten Wasser, und ich kann wochenlang ohne Essen auskommen. Sie können mir nichts anhaben.«
»Meinen Sie?«
Perec poltert oben hin und her. Dann Stille. Etwas Kleines, Leichtes fällt Spandau auf den Kopf, bleibt in seinen Haaren hängen. Er zuckt zusammen, wischt es weg.
Der nächste Treffer, auf der Schulter. Streift es ab, schleudert es ins Wasser.
»Sie haben Gesellschaft.«
Der Strahl der Taschenlampe fährt über die Brühe.
»Da ist er ja.«
Keinen halben Meter von Spandaus Knie entfernt hockt ein Skorpion auf der Dreckkruste.
»Aber wo ist denn der andere? Aha, da haben wir ihn. Da, an der Wand.«
Das Licht geht aus. Ein Skorpion trifft seine Schulter; er schlägt ihn weg. Der nächste verhakt sich mit zuckendem Hinterleib in seiner Jacke; er erwischt ihn und pfeffert ihn gegen die Wand.
»Winseln Sie schon? Ich höre ja gar nichts.«
Noch einer.
Und doch einer.
Perec leuchtet in dem Bottich herum. Ein paar Skorpione sind ins Wasser gefallen. Andere krallen sich an die Wände oder kriechen auf der zähen Brühe auf Spandau zu.
»Die sind schwer gereizt, die Jungs. Die wissen, dass Sie da sind. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Sind Sie schon gestochen worden? Nein, wohl eher nicht.«
Noch einer … und noch einer.
Einer landet auf seiner Schulter, am Halsansatz; er kann ihn nicht schnell genug wegschlagen. Wie eine glühende Nadel bohrt sich der Stachel in seine Haut. Er stößt einen Schrei aus.
»Na endlich, wurde aber auch langsam Zeit. Ich dachte schon fast, die Biester taugen nichts. Jetzt winseln Sie schon!«
Auf dem Kopf.
Auf der Schulter.
Weg damit, nur weg damit …
»Ich habe davon ungefähr fünfundsiebzig Stück dabei. Es gibt sie hier in rauen Mengen. Unter Steinen, in alten Blechbüchsen. Ich hab sie mit einer Zange eingesammelt und in einen Plastikeimer geschmissen. Auf Plastik können sie nämlich nicht krabbeln. Wie viele möchten Sie haben? Ich bin heute in Spendierlaune. Merken Sie schon was? Von dem Gift? Ich hab was darüber gelesen. Ein Stich allein ist nicht tödlich, höchstens, wenn man eine Allergie hat. Aber wenn es ein paar mehr werden …«
Noch einer … und noch einer … und noch einer.
Ein stechender Schmerz direkt über dem linken Knie; das Mistvieh ist mir am Bein hochgekrochen, hat mich durch die Hose erwischt.
Der Irre hatte recht. Den einen Stich würde er vermutlich überleben. Er war mal als Kind gestochen worden, in Arizona. Sein Bein war dick angeschwollen, und er hatte sich erbrechen müssen, aber er war nicht gestorben. Und der Arzt, der ihm das Gegenmittel gab, hatte gesagt, dass man selten daran starb, wenn man rechtzeitig Hilfe bekam …
Die Hand. Ein brennender Schmerz. Der Skorpion hatte sich an seine Jacke geklammert und war von da auf seine Hand gekrochen.
Spandaus Herz hämmerte. Wie viel Zeit blieb ihm noch, bevor das Gift zu wirken begann? Wie schlimm würde es werden? Je schneller der Herzschlag, desto schneller verteilte sich das Gift im Körper. Den Stich in den Hals merkte er bereits. Der Hals wurde schon steif, schwoll schon an …
Raus. Er musste hier raus. Irgendwie …
Er durfte nicht ohnmächtig werden. Dann würden sie ihn überall erwischen.
Ich werde nicht sterben. So werde ich nicht sterben.
Bitte, ich will nicht so sterben.
Die Übelkeit kroch in ihm hoch.
O Gott, o Gott.
»Sterben Sie schon? Alles, was noch nicht stirbt, bitte die Hand hoch. Wer noch nicht von einem Skorpion gestochen wurde, bitte melden.«
Raus, er musste hier raus. Irgendwie musste es doch einen Weg geben …
Das Handy.
Natürlich, du Hornochse. Das Handy!
Greift in seine Tasche, fasst das Handy. Nimmt es heraus. Darf es jetzt bloß nicht ins Wasser
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