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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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fallen lassen.
    »Was machen Sie da? Was haben Sie in der Hand?«
    Vignons Nummer, die Kurzwahl. Welche Nummer? Welche Nummer hat er?
    Drückt auf den Tasten herum.
    Das Gift rauscht ihm in den Ohren, wabert durch seinen Schädel.
    »Wo zum Teufel steckst du?« Vignon. Der liebe, gute Vignon!
    »Sitze in der Falle … Perec … Hilfe …«
    »Wo bist du? War das Perec, hinter dem du her bist? Was ist los?«
    »Musst mich finden … brauche Hilfe …«
    »Wo bist du? Sag mir, wo du bist!«
    »Handy orten …«
    »Was machen Sie da?«, ruft Perec. »Lassen Sie das! Hören Sie auf damit!«
    Ein Brett oder eine Planke trifft Spandau am Kopf. Fällt in die Brühe.
    »Wer ist das? Wer schreit da?«
    »Musst das Handy orten …«
    »Warte, warte …«
    Vignon ist weg. Die längste Pause der Weltgeschichte. Perec ist außer sich.
    »Die finden Sie nicht! Die finden Sie nie! Erst, wenn’s zu spät ist. Erst, wenn Sie tot sind. Tot, tot, tot!«
    Es regnet Skorpione, wie ein Sturzbach gehen sie auf ihn nieder. Die Stiche tun gar nicht mehr so weh. Er wirft sich mit dem Rücken gegen die Wand, zerknackt ihre Panzer.
    Schlägt sie weg. Und weg, nur weg.
    »Bist du noch da? David, bist du noch da?«
    »Hier …«
    »Halte durch. Die Ortung läuft. Es dauert ein paar Minuten. Schaffst du es so lange, David?«
    Kann nur noch krächzen. »Musst mich finden, du musst …«
    Seine Hände werden schwach. Das Handy einstecken, darf nicht ins Wasser fallen. Sind Handys wasserfest?
    Die Kehle schwillt ihm zu.
    Am Leben bleiben, am Leben bleiben. Nicht umkippen.
    Sie sind überall. Er hat den ganzen Eimer in den Bottich gekippt. Sie sind an den Wänden. Krabbeln auf der Brühe herum.
    Spandau greift nach dem Brett, mit dem Perec ihn beworfen hat. Er rührt im Wasser. Die Kruste wabert, reißt auf, teilt sich zu Inseln. Ein paar von den Biestern versinken; wie die Titanic, wie Eskimos auf dem Eis.
    Sie kriechen auf ihn zu, und das Brett ist so unendlich schwer. Schwer wie ein ausgewachsener Mann. Spandau stochert nach ihnen, drückt sie unter Wasser.
    Können Skorpione schwimmen?
    Packt das Brett fester, schwingt es und holt aus, zerschmettert sie, versenkt sie, zermanscht sie zu Mus, zerquetscht sie zu Brei.
    Wie viele hab ich erwischt? Wie viele sind es noch?
    Dann merkt er nur noch, dass er mit dem Rücken an dem rauen Eichenholz nach unten rutscht, in die Brühe, und alles wird schwarz.
    Vignon brüllt. Wütende Schreie auf Französisch.
    Jemand hebt ihn hoch. Ein Mann. Ein Feuerwehrmann? Hebt ihn hoch.
    Vignon sagt, du schaffst es, David, du schaffst es.
    Das Licht in seinem Gesicht, er liegt in einem Krankenwagen. Das Martinshorn. Das Geruckel. Über ihm das hübsche Gesicht einer jungen Frau, die ihm eine Manschette anlegt. Ein Mann mit ernster Miene gibt ihm eine Spritze.
    Kotzen, kotzen, ich muss kotzen …
    Das schöne Essen.
    Wo ist Anna? Werde ich Anna wiedersehen?
    Dann wird es wieder dunkel um ihn.
    Der Arzt mit dem französischen Akzent sagte: »Die meisten überleben es. Wir haben höchstens zwei Todesfälle im Jahr. Hauptsächlich Kleinkinder.«
    Der Arzt sagte: »Fünf Stiche. Ich habe schon Leute gesehen, die neun oder zehn Mal gestochen wurden. Sie haben irgendwo die Hand reingesteckt, wo sie nichts zu suchen hatte. Sie waren unvorsichtig. Bei Erwachsenen sind es meistens Schuhe. Man muss immer erst nachschauen.«
    Der Arzt sagte: »Bei Ihnen sollen es ja ziemlich viele gewesen sein. Sie haben noch mal Glück gehabt.«
    »Ehrlich?«, sagte Spandau. »Neun oder zehn Mal?«
    »Die haben’s nicht überlebt«, sagte der Arzt. »Aber Sie sind ein kräftiger, gesunder Mann. Das hilft. Stark wie ein Elsch.«
    »Wie bitte?«
    »Ein Elsch«, sagte der Arzt. Er legte die Daumen an seine Schläfen und stellte die Finger zum Geweih auf.
    »Ein Elch«, sagte Spandau im Bett der Notaufnahme. »Sie meinen einen Elch.«
    »Ein Elsch«, wiederholte der Arzt. »Sag ich doch.«

17
    Hoch oben im Dach war ein kleines Fenster. So wusste Perec immer, ob es Tag oder Nacht war. Außerdem wurde es still im Haus, wenn die Leute ins Bett gegangen waren. Wasser plätscherte, Toilettenspülungen rauschten, ab und zu ein »Gute Nacht«. Dann Stille, und das Licht ging aus. Aber im Grunde war es Perec herzlich egal, was unter ihm vor sich ging.
    Die Sache mit dem großen Amerikaner war völlig in die Binsen gegangen. Fast hätte es geklappt, ihn zu töten. Dass er aber auch nicht an das Handy gedacht hatte. Wie blöd konnte man sein? Perec war

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