Nächte in Babylon
er ein paar Meter tief in die Schlucht abgestiegen war, kraxelte er unterhalb der Kante an dem Steilhang entlang. Wieder öffnete sich das Tor. Er beeilte sich, in Deckung zu kommen, stolperte und verlor den Halt unter den Füßen.
Er kegelte die Böschung hinunter. Erst nach mehreren Dutzend Metern wurde sein Sturz von Sträuchern gebremst. Zerschrammt und zerschlagen rang er nach Luft und sortierte erst einmal seine – zum Glück heil gebliebenen – Knochen, bevor er sich wieder hochrappeln konnte. Während er wieder nach oben kletterte, stieß er auf ein Eisengitter, das, hinter dichtem Gestrüpp verborgen, in die Hügelflanke eingelassen war. Er bog die Äste zur Seite, um es sich genauer anzusehen. Es war rostig und mit einer alten Kette samt Vorhängeschloss gesichert. Es verschloss ein Loch von gut einem halben Meter Durchmesser. Perec spähte hinein. Obwohl er kaum einen Schritt weit sehen konnte, hatte er den Eindruck, dass es sich um einen alten Wasserstollen handelte. Er lag direkt unter dem Weingut und konnte nur von dort kommen.
Als sich Perec wieder aufrichtete, stieß er aus Versehen mit dem Fuß gegen einen Stein. Sofort krabbelten einige Skorpione darunter hervor. Er kickte den Stein ganz weg. Darunter kam ein Nest von Skorpionen zum Vorschein, die, so plötzlich dem hellen Tageslicht ausgesetzt, aufgeregt durcheinander wuselten. Ein paar Meter weiter drehte er noch einen Stein um. Dasselbe Bild. In diesen Bergen wimmelte es nur so von den Viechern. Perec hockte sich vor sie hin und beobachtete sie eine Weile. Dann nahm er einen Stock und tippte ihnen ein paarmal auf den Hinterleib, um zu sehen, ob sie sich selber stechen würden. Sie dachten gar nicht daran. Noch so eine Lüge, die Maman ihm aufgetischt hatte.
Er deckte das Gitter mit Buschwerk zu und hangelte sich in sicherem Abstand zum Haus wieder zur Straße hinauf.
Perec suchte sich eine Eisenwarenhandlung. Er kaufte eine Taschenlampe und einen Bolzenschneider, verstaute die Sachen in einem kleinen Rucksack und fuhr zurück in die Berge. Als es dunkel wurde, stand er abermals vor dem Gitter. Im Mondschein kniff er die Kette durch und stemmte das kleine Eisentor auf. Er kroch hinein und knipste die Taschenlampe an. Der Stollen war gerade breit genug für ihn, ein kräftigerer Mann hätte gar nicht hindurchgepasst. Der in den Kalkstein gehauene Tunnel, der Ähnlichkeit mit einer ausgebauten Höhle hatte, verlief ansteigend, auf das Weingut zu. Perec kam gut voran, bis ihm in einem etwas größeren Hohlraum ein Geröllberg den Weg versperrte. Während er noch überlegte, ob er sich geschlagen geben und den Rückzug antreten sollte, streifte ihn ein Luftzug. Er räumte ein paar Steine beiseite, und der Luftzug wurde stärker. Er buddelte weiter, dann war der Durchgang frei. Hinter dem Geröll kam er in einer niedrigen, feuchten Höhle heraus, in der er mit Müh und Not aufrecht sitzen konnte. Perec ruhte sich erst mal ein paar Minuten aus. Dabei versuchte er, nicht daran zu denken, was das wohl für Geschöpfe sein mochten, die da um ihn herum durch das Dunkel huschten.
Perec nahm den nächsten Tunnelabschnitt in Angriff. Nach einer Weile veränderte sich das Gestein. Der Stollen verlief mitten durch eine dicke Steinmauer, das Fundament des Weinguts. Bald darauf endete er an einer Holzwand. Im Licht der Taschenlampe, das durch die Ritzen der alten Bretter fiel, erkannte Perec dahinter etwas Glattes, Massives. Als er sich gegen das Hindernis stemmte, gab es nach. Er befand sich in einem engen Zwischenraum zwischen der rauen Außenmauer und einer glatten Innenmauer, der nicht breiter war als der Tunnel. Nach einem Dutzend Schritten stemmte sich eine neue Mauerstütze aus Beton gegen die alten Bruchsteine. Perec stand am Fuß des Fundaments. Der Hohlraum schwang sich zehn, zwölf Meter in die Höhe, und bevor er sich im Dunkeln verlor, war ein kreuz und quer über die Wand verlaufendes Netz aus Rohren, Leitungen und Lüftungsschächten zu erkennen. Vielleicht war es irgendwie machbar, da hinaufzukommen. Ja, tatsächlich. Indem er den Rücken an die ebene Innenwand presste und Hände und Füße an der Außenwand abstützte, konnte er sich Stück um Stück emporarbeiten, bis er auf ein schmales Sims mit einer Leiter stieß, die von oben kam und vermutlich dazu gedacht war, anfallende Wartungsarbeiten zu ermöglichen.
Während Perec sich auf dem Sims vorwärtsschob, drangen auf einmal Stimmen an sein Ohr. Vorsichtig kroch er darauf zu. Auf der
Weitere Kostenlose Bücher