Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
Vom Netzwerk:
darüber erzählt. Schauen Sie mal.«
    Sie gab ihm ein Kinderbuch mit Fotos von Geishas.
    »Haben Sie schon mal so wunderschöne Frauen gesehen?«
    »Sie sind sehr … blass«, antwortete Perec.
    »Ja, aber das ist Absicht. Das findet man in Japan schön. Sie tanzen und singen, und sie spielen auf so kleinen Gitarren, die nur drei Saiten haben … Aber ich sehe schon, das interessiert Sie nicht.«
    »Ich verstehe bloß nichts davon.«
    »Dafür weiß ich alles darüber«, sagte sie. »Ich bin eine Expertin. Sie können mich alles fragen.«
    Er zeigte auf ein Foto an der Wand.
    »Was ist das?«
    »Der Fujiyama. Der höchste Berg in Japan. Dabei ist er gar kein richtiger Berg, sondern ein Vulkan, und manche Leute nennen ihn le mont Fujiyama , aber das ist falsch, weil Yama sowieso Berg heißt. Das ist so, als würde man ihn Berg Fujiberg nennen. Sehen Sie? Ich kenne mich aus.«
    Er deutete auf ein anderes Bild.
    »Und das?«
    »Das ist ein Zen-Garten.«
    »Ein Garten? Da liegen doch bloß Steine rum.«
    »In Japan gibt es Gärten aus Steinen. Schauen Sie, hier. Dieser Teil soll Wasser darstellen. Und die Steine? Das sind Inseln. Und alles muss auf eine ganz bestimmte Weise angelegt sein. Dafür gibt es strenge Regeln. Die Japaner haben überhaupt für alle möglichen Sachen Regeln. Man muss sich zum Beispiel auch oft verneigen.«
    Sie verneigte sich.
    »Und jetzt Sie.«
    Perec deutete eine Verbeugung an.
    »Sie respektieren mich nicht«, sagte sie.
    »Hä?«
    »Ich habe mich tief vor Ihnen verneigt«, sagte sie. »Das bedeutet, dass ich Sie respektiere. Je tiefer die Verbeugung, desto größer der Respekt. Sie haben sich fast gar nicht verneigt.«
    Perec verbeugte sich noch einmal, ein ganzes Stück tiefer.
    »Das war schon viel besser«, sagte sie. »Jetzt bin ich nicht mehr so schwer gekränkt. Jetzt muss ich Sie nicht dazu bringen, Selbstmord zu begehen.«
    »Wieso sollte ich das machen?«
    »Haben Sie schon mal was von den Samurai gehört? Das sind die japanischen Krieger. Die schlagen ihren Feinden mit dem Schwert den Kopf ab, und sie haben keine Angst vor dem Tod. Wenn sie Schande über sich gebracht haben, nehmen sie sich ein Messer und ratsch! « Sie zog sich eine imaginäre Klinge quer über den Bauch. »Dann fallen ihnen die Därme raus. Aber manchmal machen sie auch bloß ritsch! « Sie deutete eine durchgeschnittene Kehle an. »Ist das nicht toll?«
    »Hört sich kompliziert an.«
    »Aber natürlich ist es kompliziert. Darum geht es ja gerade. Darum finde ich es doch so toll. Weil sie diese ganzen Rituale haben. Und weil sie so sanft sind. Die Japaner lieben die Ruhe, aber sie können auch sehr grimmig sein. Wollen Sie sehen, wie sie Tee trinken?«
    »Das weiß doch jeder, wie man Tee trinkt.«
    »Aber nicht, wie es die Japaner machen. Sie haben eine richtige Teezeremonie. Ich bringe sie mir gerade selber bei. Es ist eine todernste Angelegenheit.«
    »Ich muss los«, sagte Perec, für den es schon unter normalen Umständen eine Tortur war, mit Frauen zu reden. Sie sollte ihn in Ruhe lassen.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie.
    »Vincent.«
    »Ich bin Amalie.«
    Sie gab ihm die Hand. Perec schlug zögernd ein. Ihre Hand war klein und kühl. Sie fühlte sich an wie der verletzte Spatz, den er einmal gefunden hatte. Ihm wurde übel. Er ließ die Hand fallen und floh nach draußen.
    Es gelang ihm, ihr für den Rest des Tages aus dem Weg zu gehen. Nach dem Frühstück deckte er sich mit Tageszeitungen und Illustrierten ein. Er fand viele Berichte über das Festival, aber kaum etwas über Anna. Mit einem Stadtplan bewaffnet, ging er zum Strand. Dort setzte er sich auf eine Bank und bestaunte die Boote und Yachten. Dass jemand so reich sein konnte, überstieg seine Vorstellungskraft. Er wanderte die ganze Croisette hinunter bis zum Palais, blieb eine Weile davor stehen und sah zu, wie die Autos vorfuhren und die Leute hineingingen. Er hätte zu gern gewusst, ob auch Anna darunter war. Die Straßen und Geschäfte waren überfüllt, überall wurde Englisch gesprochen. Perec war das alles viel zu laut und zu chaotisch. Nachdem er dem Strand den Rücken gekehrt hatte, fühlte er sich gleich wohler. Neugierig erkundete er das verschachtelte Labyrinth aus kleinen Straßen und Gassen. Es war ein klarer, sonniger Tag. In den Straßencafés saßen die Menschen beim Kaffee und unterhielten sich. Händchen haltende Liebespaare blieben in Hauseingängen stehen, um sich zu küssen, Kinder spielten Fußball auf der Straße. Aber

Weitere Kostenlose Bücher