Nächte in Babylon
Gastgeberin der berühmt-berüchtigten Filmfestspiele, aber für das Klingeln in der Kasse steht Nizza. Cannes ist klein und snobistisch, Nizza größer und weltoffener. Cannes kann in den beiden Festivalwochen im Mai nur eine begrenzte Anzahl an Filmstars und Jetsettern aufnehmen. Der Rest muss sich ein paar Kilometer die Küste hinuntertrollen und sein Glück in Nizza probieren, wo sich die Preise schlagartig verdreifachen, die Abstellkammern in Gästezimmer umfunktioniert werden und sich die Bevölkerung von einem Tag auf den anderen ein tadelloses Englisch aneignet.
Die Männer sind braun gebrannt, die Frauen oben ohne. Klingt gut, ist aber bei der vertretenen Altersspanne nicht ganz so ergötzlich, wie es sein könnte. Die Restaurants sind Weltklasse, nicht der Rede wert oder unter aller Kanone, und wenn im Mai die Massen einfallen, merkt man den Unterschied manchmal erst, nachdem man sich eine Lebensmittelvergiftung eingefangen hat.
Die Festspiele selbst sind der größte Umschlagplatz für Filme auf dem Planeten. Man trifft sich, um Filme zu kaufen und zu verkaufen, so wie Beduinen in einer Oase zum Ziegenhandel zusammenkommen – auch wenn es in Cannes nicht ganz so ehrlich und höflich zugeht. Im eigentlichen Sinne sind es auch gar keine Festspiele, denn es gibt nicht viel zu feiern, es sei denn, man findet ein verzweifeltes Vergnügen daran, sein Vermögen oder seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen. Und all dies unter den neidischen Blicken der Franzosen, die diesen alljährlichen Budenzauber nur veranstalten, um sich ihre existentialistische Langeweile damit zu vertreiben, dass sie Unruhe stiften und alte Rechnungen begleichen, die sie mit dem Rest der Welt noch offen haben beziehungsweise noch offen zu haben glauben. Angeblich sollen auf dem Festival aber hin und wieder auch schon Leute gesichtet worden sein, denen am Kino tatsächlich etwas liegt. Solche Sonderfälle landen auf einer schwarzen Liste und bekommen nie wieder ein Hotelbett.
So viel zu der Kulisse, die Special erwartete, als er mit seinem Rollenkoffer den Flughafen Nizza verließ, im Ohr den iPod mit einer Arie aus Aida . Er steuerte den ersten Wagen am Taxistand an.
»Sprechen Sie Englisch?«
»Ja«, sagte der Fahrer. »Ich habe fünf Jahre in Chicago gelebt.«
»Was kostet es mich, wenn Sie mich in die Stadt bringen?«, fragte Special.
»Nizza?«, fragte der Fahrer zurück. »Cannes? Antibes? Juan-les-Pin?«
»Nizza«, sagte Special, der bereits nach diesem kurzen Frage-und-Antwortspiel eine herzliche Abneigung gegen den Mann entwickelte.
»Welche Gegend?«
»Wieso, welche Gegend?«
»Die Stadt ist groß«, sagte der Taxifahrer.
»Na schön, verdammt«, sagte Special. »Also ins Zentrum.«
»Dreißig Euro«, sagte der Fahrer.
»Und wie viel ist das in echtem Geld?«
»In echten amerikanischen Dollar statt in eingebildeten Euros? Ungefähr vierzig Dollar.«
»Haben Sie nicht mehr alle?«, sagte Special. »Ich wollte doch keine Stadtrundfahrt buchen.«
»Wenn Sie sich das nicht leisten können, Monsieur, würden Sie dann vielleicht den nächsten Gast einsteigen lassen?«
»Schon gut, schon gut. Und was ist mit meinem Koffer?«
»Ich hab’s im Kreuz«, sagte der Fahrer.
»Und ich krieg gleich Schwindsucht in der Brieftasche.«
Special stieg ein.
»Und …?«, sagte der Fahrer.
»Ich suche ein Hotel.«
»Was für ein Hotel?«
»Müssen Sie mir jedes Mal ein Loch in den Bauch fragen?«
»Auch wenn in Ihrem Reiseführer vielleicht etwas anderes steht, Monsieur, aber es gibt in dieser Gegend tatsächlich mehr als ein Hotel.«
»Können Sie mir eins empfehlen?«
»Oui, Monsieur. So viele Sie wollen.«
»Ein anständiges, sauberes Hotel? Halbwegs erschwinglich?«
»Oui, Monsieur. Da kämen mehrere infrage.«
»Können Sie mich dann zu einem dieser mehreren Hotels bringen?«
»Oui, Monsieur.« Der Fahrer machte keinerlei Anstalten, den Wagen in Bewegung zu setzen.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Special nach einer Weile.
»Oui, Monsieur.«
»Und das wäre?«
»Hat Monsieur schon einmal etwas von den Filmfestspielen in Cannes gehört?«
»Ja …«
»Dann weiß Monsieur vielleicht auch, wie groß in dieser Zeit der Besucheransturm ist.«
»Kommen Sie jetzt endlich zu Potte, oder was?«, fragte Special.
»Die Festspiele fangen heute an, Monsieur, und wenn Monsieur vorab kein Zimmer reserviert hat, ist es mehr als fraglich, ob Monsieur ein Hotel findet, das ihn aufnimmt.«
»Sie wollen mich wohl verarschen«,
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