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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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anderen Seite der Wand unterhielten sich ein Mann und eine Frau auf Französisch.
    »Also ehrlich«, sagte der Mann. »Wenn es nach denen ginge, gäbe es morgens, mittags und abends Pasta.«
    »Freu dich doch, dann hast du weniger Arbeit«, sagte die Frau. »Was beklagst du dich?«
    »Der Mensch wächst an seinen Herausforderungen.«
    »Du willst eine Herausforderung? Dann kannst du mir ja bei der Wäsche helfen.«
    Die Stimmen verklangen. Erst als Perec sich ganz sicher war, dass sich die beiden entfernt hatten, hangelte er sich weiter. Offenbar umschlossen die alten Gutshausmauern den inneren Kern eines Neubaus. Während er in der hohlen Wand herumkletterte, schnappte er Bruchstücke von Gesprächen, Fernsehlärm oder Musik auf, die noch verstärkt wurden, wenn er das Ohr an die Rohre und Lüftungsschächte der Klimaanlage legte. Am oberen Ende der Mauer kam er auf einem Flachdach heraus, das einen Meter unterhalb der ursprünglichen Gutshausdecke lag. Der Hohlraum glich einem Speicher und war dick mit Dämmstoffmatten ausgelegt. Rohre und Leitungen führten in die darunterliegenden Zimmer. Perec balancierte vorsichtig von Träger zu Träger. Geräusche drangen zu ihm empor, und manchmal nahm er durch einen Lampenanschluss sogar den Schatten einer Bewegung wahr. Von Anna war nichts zu hören. Vielleicht war sie nicht da. Aber sie würde wiederkommen, und dann würde er ihr ganz nah sein. Wie ein Engel würde er über ihr schweben.

7
    Als Perec zurückkam, war alles still im Haus. Unten schien niemand daheim zu sein. Perec war müde und verdreckt, die aufgeschürften Hände und der Rücken taten ihm weh. Er wollte nur noch duschen und ab ins Bett. Nachdem er seine Kammer aufgeschlossen und Licht gemacht hatte, sah er sie. Sie kauerte in einer Ecke des Flurs auf dem Boden, die Knie angezogen, das Gesicht zur Wand gedreht.
    »Amalie? Was ist los?«
    Er kniete sich neben sie. Als er versuchte, ihr Gesicht zu sich zu drehen, riss sie den Kopf weg. Aber dann ließ sie es doch geschehen. Diesmal hatte es sie noch schlimmer erwischt. Ihre rechte Gesichtshälfte war ein einziger Bluterguss. Gut möglich, dass er ihr den Unterkiefer gebrochen hatte. Ein Auge war zugequollen, die Lippen aufgeplatzt. Seltsamerweise weinte sie nicht. Er führte sie in sein Zimmer.
    »Wo ist er?«
    »Er kommt heute Abend nicht mehr wieder«, sagte sie mit belegter Stimme.
    »Haben Sie Medizin da? Ich könnte sie Ihnen raufholen.«
    Er machte Anstalten, nach unten zu laufen.
    »Nein! Gehen Sie nicht weg. Bitte.«
    Er blieb stehen und sah sie an. Dann machte er erst mal die Tür zu. Er hatte keine Ahnung, was er mit ihr anfangen sollte. Doch da fasste sie nach seiner Hand und legte sich, ohne sie loszulassen, aufs Bett.
    »Können Sie mich in den Arm nehmen?«
    Am liebsten hätte Perec sich einfach aus dem Staub gemacht. Aber er hielt ihre Hand fest und legte sich zu ihr. Sie kuschelte sich an ihn, legte seinen Arm um sich. Perec war noch nie einer Frau so nah gewesen. Ihm wurde übel. Er wollte sie mit einem Fußtritt aus dem Bett befördern, sie sonst wohin jagen. Er fühlte sich ihr wehrlos ausgeliefert, als ob sie ihn aus dem flachen Wasser mitgerissen hätte in eine tiefe, gefährliche Strömung. Sie schmiegte ihre Wange in seine Hand, und er fühlte, wie sie ein- und ausatmete, roch ihr Haar und den Duft ihrer Haut. Und dann fing unten rum dieses Gefühl bei ihm an, und er wollte sich erschrocken von ihr losmachen, aber sie sagte leise: »Ist schon gut«, und kuschelte sich noch fester an ihn. Sekunden später durchlief ihn ein Schauer und seine Anspannung löste sich. Zärtlich drückte sie seine Hand. Perec vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und schlief ein.
    Lange vor Tagesanbruch wurden sie von einem Hämmern an der Zimmertür geweckt.
    »Bist du da drin, du kleines Flittchen? Aufmachen, verflucht noch mal!«
    Schon drehte sich der Schlüssel im Schloss. Amalie sprang zur Tür und versuchte sie zuzuhalten, doch Debord warf sich dagegen, und sie flog krachend auf.
    »Diesmal bring ich dich um! Ich bring euch beide um!«
    Er schlug sie ins Gesicht, dass sie gegen die Wand flog und zu Boden sackte, riss seinen schweren Gürtel heraus und drosch auf sie ein. Wimmernd nahm sie die Arme hoch, um sich zu schützen.
    Perec sah sekundenlang tatenlos zu, als ob ihn das Ganze nichts anginge. Doch dann besann er sich. Er sprang Debord von hinten an und versuchte, ihn von Amalie wegzureißen. Aber der schüttelte ihn ab und verpasste ihm einen Hieb,

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