Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
stecke für ihn übrigens einRiesen-Romanstoff, sagte er, etwas über einen Betriebsarzt bei der Bundespost, der wie Semmelweis für vollkommen neue Hygienevorschriften kämpfe und von den borniert-unmenschlich-sturen Postlern immer wieder abgewiesen werde. »Die Post«, sagte er mit erhobener Stimme, »lehnt tatsächlich die Desinfektion der Apparate als übertrieben ab. Übertrieben!« Er wurde pathetisch: »Sie lassen uns ungewaschene Briefe ins Haus bringen von Leuten, die vielleicht gerade telefoniert haben! Sie lassen es zu, dass Philatelisten Sachen sammeln, die anderen schon auf der Zunge lagen! Sie lassen sich in ihrer Schamlosigkeit mit Geld bezahlen, an dem die Staphylokokken haften wie Paniermehl an einem Schnitzel!« Diese Autobahnbrückengeschichte könne er vielleicht als Schluss in den Roman einbauen. Chemische Reinigung von Telefonen müsste so selbstverständlich sein wie das Zähneputzen, rief er. Man könne heute die Geräte mit einem Mittel säubern, das aus der Mundhöhle stammende Krankheitserreger auch nach einem Monat noch zu 95 Prozent fernhalte!
»Was ich nicht verstehe«, sagte Perlewitz, »das ist, warum man das Mittel nicht gleich in den Mundhöhlen selbst anwendet.«
Drei Tage später kam ein Brief, eingeschweißt in durchsichtiges Plastik. »Habe das Romanprojekt wieder beiseitegelegt. Bin völlig unfähig zu schreiben. Am Wochenende wieder ein Krebskongress in Hamburg! Wozu brauchen wirüberhaupt einen Körper? Wenn wir fleischlose Wesen wären, könnten wir nicht Hautkrebs bekommen. Könnten wir nicht aus Plastik sein und aussterben, wenn das Erdöl zu Ende ist? Oder aus Metall? Voll verzinkt natürlich, sonst würden wir rosten. Rosten stelle ich mir sehr schmerzhaft vor.«
Am Abend trat in einer Talkshow eine ehemalige Freundin von Perlewitz auf, eine hübsche dunkelhaarige Mittdreißigerin mit leicht gebogener Nase und einem Anflug von Damenbart. Es war eine von diesen neuartigen Talkshows, in denen nicht mehr die Prominenten selbst auftreten, deren Gesichter längst niemand mehr sehen kann, sondern Leute aus deren Bekanntenkreis, von denen man sich noch unbekannte Intimitäten über die Prominenten erhoffte. Perlewitz war ja durch seine letzten drei Bücher durchaus ein bisschen berühmt geworden.
Seine ehemalige Freundin hielt ihn mittlerweile für völlig verrückt. Manchmal habe er sie minutenlang durch den Türspion fixiert, bevor er geöffnet habe. Er habe erzählt, bei jedem Kuss würden mehr als 250 Bakterienarten übertragen, Viren und Parasiten nicht mal mitgezählt. Ein Milliliter Speichel enthalte 63 Millionen Keime, habe er behauptet. Dann habe er plötzlich von einer Untersuchung gelesen, die man Anfang des Jahrhunderts gemacht habe: Zwei Männer hätten eine frisch desinfizierte Frauenwange küssen dürfen, ein Bärtiger und ein frisch Rasierter. Nach jedem der beidenKüsse habe man die Wange untersucht und nach dem Kuss des Rasierten jede Menge, allerdings harmlose Keime gefunden, bei dem Bärtigen aber Tuberkulose- und Diphteriebazillen, Fäulniskeime von Essensresten und ein Spinnenbein.
Sie saß ganz starr in ihrem Talkshowsessel. Der Moderator fischte in seinem Dreitagebart unauffällig nach Spinnenkörperteilen, als sie sagte, Perlewitz sei früher nicht einmal schlecht im Bett gewesen, keine Sensation, aber doch einer »mit manchmal erfrischenden Einfällen«, wie sie sich ausdrückte. Nervtötend habe sie nur gefunden, dass er ständig behauptete, regelmäßiger Geschlechtsverkehr senke die Prostatakrebswahrscheinlichkeitsrate (er habe wirklich immer dieses Wort benutzt) um 80 Prozent. Aber nach der Spinnenbeingeschichte habe er ihr nicht einmal mehr die Hand geben wollen. Eines Abends konnte sie ihm gerade noch ein Küchenmesser aus der Hand reißen. »Da hatte er«, sagte sie, »gerade gelesen, die Lebenserwartung steige bei kastrierten Hauskatern von 5,3 auf 8,1 Jahre.«
Wir redeten im Büro fast nur noch über Perlewitz. Pachulke, der Redakteur der Wochenendbeilage, sagte, Perlewitz habe nach Wochen mal wieder einen Essay angeboten, in dem er die völlige Ausweglosigkeit der Lage des modernen Menschen anhand seines Verhältnisses zum Duschbad exemplifizieren wolle. Er habe schon ein Exposé geschickt, in dem er einerseits behaupte, der Mensch werde überhaupt erst zum Menschen, wenn er sich regelmäßig dusche. Nurdadurch unterscheide er sich vom Tier, dass er sich auf diese gründliche, dem Tier unbekannte Weise von jenen Keimen, Viren und
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