Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
ich mich totsaufen? Ich bekomme von Alkohol Migräne, sie zieht von einer Stelle hinten links im Nacken nach vorn in die Stirn. Ich vertrage nicht mal genug Alkohol, um mich wie ein anständiger Schriftsteller totsaufen zu können!«
Perlewitz’ Stimme überschlug sich, aber trotzdem klang sie unvertraut dumpf aus der Folie. Ich hatte nicht gewusst, dass solche Blumenfolien Stimmen derart stark dämpften.
Seine Mutter wischte jetzt hilflos mit dem Taschentuch in seiner Mundgegend auf dem Zellophan herum. »Wussten Sie, dass es nicht schwer war, ihm beizubringen, dass man sich die Hände wäscht, wenn man auf dem Klo war?«, sagte sie. »Schon mit fünf hatte er es begriffen. Aber wenn man ein Glas Milch auf den Tisch stellte, konnte man sicher sein, dass er es umschmeißt. Ständig musste man ihn warnen. Ich glaube, was ich am meisten zu ihm sagte, war: ›Vorsicht, Junge, pass auf, Junge!‹«
Perlewitz’ Knöchel wurden schon von Wasserlachen umspielt, so sehr schwitzte er. Seine Mutter schien unsichtbar für ihn zu sein. Ich wusste ehrlich gesagt auch nicht, wo sie plötzlich hergekommen war.
»Man musste so auf ihn aufpassen«, sagte sie. »Kaum war irgendwo ein Mäuerchen, kletterte er drauf. Ich habe ihn jedesmal heruntergehoben, er hätte sich ja sonstwie verletzen können.«
»Was soll man denn tun gegen diese Angst?«, brüllte Perlewitz. »Eine rauchen? Was trinken? Dann habe ich vielleicht keine Angst mehr, aber ich werde wirklich krank. Tag für Tag sterben in Europa so viele Raucher, als würden sechs voll besetzte Jumbojets abstürzen und alle Insassen dabei umkommen.«
Dass er überhaupt Luft bekam in dieser Packung!
»In Amerika lassen sie jetzt nur noch Nichtraucher mitfliegen, weil dauernd diese Raucherjets abstürzen!«
Seine Mutter hatte das Taschentuch weggesteckt. Sie schien sehr kräftig zu sein. Sie hängte ihre Handtasche über die linke Schulter und legte ihren Sohn flach auf das Sofa.
»Flugangst habe ich auch!«, schrie er.
Seine Mutter fasste Perlewitz um die Hüften, hob ihn, hopp!, mit einem Ruck an und trug ihn unter dem Arm zur Haustür wie eine gut verpackte Standuhr. »Er braucht einfach jemanden, der auf ihn aufpasst«, sagte sie, »das wird nie anders.«
Ich hörte Wellen von Schweiß in der Folie hin- und hergluckern. Die beiden verließen das Haus. Perlewitz, meinen Freund, sah ich zum letzten Mal, als er, 50 Meter von meinem Haus entfernt, an der Bushaltestelle unter dem Arm seiner Mutter auf die Linie 87 wartete.
KEIN GEDANKE. NIRGENDS
D IE BEIDEN SITZEN im Wohnzimmer nebeneinander auf einem mattweißen Zweisitzer von Cianfranco de Fumetti, also ziemlich eng beieinander. Er trinkt dreizehneinhalb Jahre alten Whisky, sie ein Bier aus der Flasche. Das Licht im Zimmer ist gedämpft. Ein weißer Halogenstrahler, geschaffen in den Werkstätten von Jeanpierre Würth, beleuchtet ein 2 x 2 Meter großes Bild hinter dem Sofa, ungegenständlich, wild, von Mike Cholesterini (New York 1987), hauptsächlich in den pastos aufgetragenen Farben Rot, Gelb, Grün, rechts unten auch Schwarz. Er liest Zeitung.
Sie: »Hast du heute Scholkemeier angerufen?«
Er: »Warum?«
Sie: »Musst du immer ›warum‹ fragen?«
Er: »Warum? Frage ich immer ›warum‹?«
Sie: »Merkst du es nicht selbst?«
Er: »Nein, wieso?«
Sie: »Schon wieder.«
Er: »Was?«
Sie: »Immer beantwortest du Fragen mit einer Gegenfrage. Warum, warum? Wieso, wieso?«
Er: »Es könnte ja mal sein, dass du einen Grund hast für das, was du sagst.«
Er denkt, dass er Whisky nicht mag und ihn bloß trinkt, weil er es stilvoll findet, dreizehneinhalb Jahre alten Whisky auf einem mattweißen Sofa von Fumetti zu nehmen. Außerdem ärgert er sich, dass sie Bier aus der Flasche trinkt und nicht aus den schönen Gläsern, die sie doch besitzen. Sowieso wäre ihm lieber, sie würde Rotwein trinken, das würde besser zu dem Cholesterini an der Wand passen. Erst gestern hat er zwei Kartons Cepparello geholt, die sollen auch nicht bloß im Keller herumliegen. Dauernd kauft er Wein, und sie trinkt ihn nicht. Soll er sich allein zersaufen an diesen Beständen?
Sie: »Ich verstehe nicht, warum du so aggressiv bist.«
Er: »Bin ich aggressiv? Was redest du für idiotischen Blödsinn?«
Sie: »Scholkemeier – hast du ihn angerufen?«
Er: »Nein.«
Sie: »Warum nicht?«
Er: »Lass doch die Gegenfragen.«
Sie: »Ich meine es ernst.«
Er: »Ich hatte den ganzen Tag zu tun, ich bin nicht dazu gekommen.«
Sie: »Dann
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