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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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ruf ihn doch jetzt an.«
    Er: »Jetzt bin ich zu müde. Irgendwann brauche ich mal Ruhe.«
    Plötzlich ist auch etwas Blau auf dem Bild an der Wand,Rot und Grün treten dafür zurück, Schwarz kriecht von unten her zur Bildmitte. Im Raum schwingt die sanfte, tiefe Stimme eines berühmten Partnertherapeuten. »Streit?«, sagt er singend und gedehnt, »toben Sie ihn im Bett aus. Sie bauen dabei Alltagsspannungen ab. Geschlechtsverkehr kann eine plötzliche Krise Ihrer Beziehung beenden. Aus Streit kann eine Turbonacht werden.«
    Sie: »Die Kinder haben bei diesem Scheißwetter den ganzen Tag im Haus gespielt. Roderich hat in die Küche gepinkelt, Marie-Claire hat die Sachen aus ihrem Kleiderschrank im ganzen Zimmer verteilt. Mir tut der Rücken so weh, ich kann kaum noch sitzen.«
    Er: »Bin ich deshalb weniger kaputt, weil dir auch das Kreuz wehtut?«
    Sie: »… aber ich wollte dich nur trösten, indem ich dir sage, dass du nicht allein so müde bist.«
    Er: »Man macht sich den ganzen Tag fertig, knechtet, schuftet, und das Einzige, was man hört, sind Relativierungen. Kein Trost, kein Verständnis.«
    Fünf Minuten Schweigen. Er versucht zum dritten Mal, einen Artikel über eine politische Verwicklung in Gabun zu Ende zu lesen.
    Sie: »Immer liest du, statt mit mir zu sprechen.«
    Er: »Wir können gerne miteinander reden, aber eben ist geschwiegen worden, und ich habe in dieser Zeit Zeitung gelesen. Wenn etwas zu sprechen gewesen wäre, hätte ich dieZeitung sinken lassen, aber es ist ja nichts gesagt worden. Irgendwann muss ich Zeitung lesen.«
    Sie: »Ich werde vor Einsamkeit sterben.«
    Er: »Immer redest du mit mir, statt Zeitung zu lesen.«
    Er versucht wieder, den Artikel über die Verwicklung in Gabun zu Ende zu bringen, muss aber an seine Mutter denken und daran, dass er als kleiner Junge immer lange aus dem Fenster gestarrt und Zählungen der vorbeifahrenden Autos veranstaltet hat. Draußen regnet es »Brigitte«-Zeitschriften vom Himmel. In Oregon hat eine Befragung von 5202 Männern und Frauen ergeben, dass verheiratete Paare geringfügig öfter als unverheiratete den Genuss von Salzbrezeln heftigem Sex vorziehen.
    Er: »Möchtest du noch ein Bier?«
    Sie: »Ja, aber brauchst nicht extra aufzustehen. Nur, wenn du sowieso gehst.«
    Er: »Jetzt sag, ob du noch ein Bier willst oder nicht!«
    Sie: »Wenn du so laut wirst, mag ich schon gar keins mehr.«
    Er: »Erst sagst du, du möchtest noch ein Bier, dann möchtest du keins mehr.«
    Sie: »Ich kann’s mir selbst holen.«
    Er: »Ist ja gut, ich geh’ ja schon, geh’ ja schon. Aber ich kann nicht raten, was du willst. Ich kann nicht ständig denken, was du gerade denkst, um dann zu tun, was du gerade willst, dass ich es tue.«
    Sie: »Aber du könntest dich ein bisschen mit mir beschäftigen.«
    Er: »Doch nicht jetzt!«
    Die schwarze Farbe auf dem Bild kriecht höher, Grün ist fast nicht mehr da. Rot, nun sehr intensiv und dunkel, wird von blauen Streifen durchzogen. Silberfischchen eilen über den Parkettboden, formieren sich zu Buchstaben, Worten, Sätzen, laufen wieder auseinander, formieren sich neu: »Ein Sektfrühstück, ein Kuschelsonntag im Bett, ein Last-Minute-Flug in die Sonne – solche Dinge geben Ihrem Alltag neuen Thrill. Klingt banal? Ist es aber nicht.«
    Wie war es gewesen letzten Samstag?, denkt er. Sie hatten sich zusammen einen schönen Abend machen wollen, nach langer Zeit mal wieder einen richtig schönen Abend. (Er glotzte leeren Blickes in die Zeitung.) Sie waren mit dem Auto in die Stadt gefahren, hatten sich eine halbe Stunde lang nicht auf ein Lokal einigen können; sie wollte nichts essen, er hätte ganz gern auch etwas mehr als eine Kleinigkeit verzehrt. Am Ende waren sie zu einem Bistro gefahren, das beide kannten. Es war im ganzen Viertel, in dem das Bistro lag, kein Parkplatz zu finden gewesen, obwohl sie eine halbe Stunde lang herumfuhren. Sie schlug vor, nach Hause zurückzukehren oder in eine Pizzeria am Stadtrand zu fahren. Er wollte die Sache nun aber durchziehen, fuhr in ein anderes Viertel zu einem anderen Lokal, wollte auf dem Weg dorthin, nervös und eilig, einen Mineralwasserlieferanten ineiner Kurve rechts überholen. Dabei wurde ihr Wagen links gerammt.
    Er schrie und heulte vor Wut, und im Regen auf der Straße handelte er mit dem Mineralwasserlieferanten, einem Kerl mit roter Triefnase, die Reparaturbedingungen aus. Dann waren sie doch zu der Pizzeria am Stadtrand gefahren. Sie bestellte, weil sie

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