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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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Symptome.
    »Und warum sitzt du dann hier im Bett?«, fragte ich.
    »Wahrscheinlich, weil ich einen Kreislaufkollaps hatte vor Angst«, antwortete Perlewitz, »außerdem bin ich Privatpatient.«
    Er stand auf, wusch sich die Hände, und ich fuhr ihn nach Hause. Unterwegs dehnte sich Perlewitz behaglich im Beifahrersitz und sagte, so ein Arztbesuch mache ihn immer richtig fit. Das halte ungefähr eine Woche vor, dann entdeckeer eine neue Krankheit bei sich. Vermutlich sei das eine Art Sucht, man sage der Krankenversicherung besser nichts davon. Die Arbeit mache ihm nur in dieser Zeit Spaß, total angstfrei alles. Leider falle ihm nichts wirklich Brauchbares ein. Er brauche wohl doch den Leidensdruck.
    Ich sagte, Hypochondrie sei in der antiken Medizin die gebräuchlichste Bezeichnung für den oberen Teil der Bauchhöhle gewesen.
    Perlewitz antwortete: »Da tut mir eigentlich selten etwas weh.« Stechende Schmerzen im Unterleib, das ja. Darüber habe er erst vor drei Wochen mit dem Arzt geredet, und der habe einen Gummihandschuh angezogen und ihn da unten untersucht, »du kennst das ja wahrscheinlich«. Er habe nichts gefunden, was ihn, Perlewitz, allerdings ausnahmsweise nur zwei Tage lang beruhigt habe. Dann sei ihm eingefallen, dass die meisten Darmkarzinome an einer Stelle säßen, die ein Arztfinger nicht erreichen könne. Das müsse mal im »Spiegel« gestanden haben, wenn er sich recht entsinne, allerdings schon vor mindestens zehn Jahren. Aber die Arztfinger seien seither ja nicht länger geworden.
    Wir tranken noch etwas, dann ging ich. In der Haustür sagte Perlewitz, wenn er tippen solle – er werde wohl an Darmkrebs sterben. Er habe einfach schon zu viel Kuchen gegessen. Irgendwo habe er mal gelesen, Darmkrebskranke unterschieden sich in nichts von normalen Sterblichen, außer durch einen höheren Kuchenverzehr.
    »Vielleicht werde ich Vegetarier!«, rief er hinter mir her, »täglich fünf Gemüsemahlzeiten!« Möglicherweise könne man dadurch noch etwas gutmachen. Oder mal einen Text über Vegetarismus schreiben, warum nicht? Auf Kuchen verzichte er schon seit vorletzter Woche.
    Zwei Tage später klingelte nachts um halb drei das Telefon. Perlewitz’ Stimme hallte, als spreche er aus einer Gruft. »Es ist der Wahnsinn«, sagte er, »mir ist gerade der rechte Arm eingeschlafen.«
    »Stell dir vor, ich war schon ganz eingeschlafen«, brüllte ich.
    »Du verstehst mich nicht«, hallte es. »Der Arm war gefühllos, wie tot. Ich bin aufgewacht und hatte diesen Arm neben mir, wie der Arm eines Fremden. Er lag einfach da, mein eigener Arm. Ich habe geschrien und ihn geschüttelt, bis wieder Leben drin war. Grässlich! Sind da Nerven abgeklemmt oder was? Liebrich hat mir neulich gesagt, wenn einem der Arm öfter auf diese Weise einschlafe, sei das ein erstes Anzeichen für Schizophrenie. Es realisiere sich praktisch eine Bewusstseinsspaltung im Physischen. Man spüre plötzlich körperlich, dass man aus zwei Leuten bestehe.«
    »Die Frage ist nur«, sagte ich, »wer von euch beiden ist der Hypochonder?«
    Perlewitz’ Stimme klang etwas heller. »Das Problem ist: Ich bin gleichzeitig Hypochonder und wirklich krank.«
    Ich legte auf. Es war für fünf Wochen mein letztes Telefonatmit Perlewitz. Ich traf ihn dann Freitagabend auf einer Party bei Westphal, der mich mit den Worten einlud: »Perlewitz kommt auch. Wissen Sie es schon? Er telefoniert nicht mehr.«
    Perlewitz stürzte gleich auf mich zu. Ich sagte: »Ich höre, du telefonierst nicht mehr.«
    »Hast du es nicht gelesen?«, fragte er.
    »Was?«
    »Ein Passauer Arzt hat 19 Telefone in Büros, Kliniken und einer öffentlichen Zelle untersucht und dabei Staphylokokken, vergrünende Streptokokken und Kolibakterien gefunden. Meinst du, ich will mich umbringen?«
    »Bei Anruf Mord«, sagte Westphal, der noch neben uns stand.
    Perlewitz ließ ein zynisches Lächeln über sein Gesicht laufen. »Stell dir vor: In derselben Zeitung stand, ein österreichischer Angestellter sei 165 Meter tief von einer Autobahnbrücke in der Steiermark gefallen und mit ein paar Schrammen wieder aufgestanden. Das ist doch absurd: Morgen geht er wieder ins Büro, ruft zum Beispiel bei seiner Autowerkstatt an, und Scharen von hungrigen, gemeinen, längst vergrünten Streptokokken springen ihm mitten in sein verkratztes Gesicht und töten ihn.«
    Perlewitz wischte mit mehreren raschen Bewegungen etwas Petersilie von einem Leberwurstkanapee aus dem Mundwinkel. In der ganzen Sache

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