Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
glaube, du bist nur eine Halluzination für mich. Auf derart extremen Touren, wie ich sie gerade unternehme, hat man manchmal Halluzinationen.« Er seufzte. »Du bist so schön.«
»Ich würde Sie gern mal meinem alten Religionslehrer vorstellen«, sagte ich.
»Du hast so weiche Haut«, sagte der Yeti, »und siehst noch so jung aus. Ganz anders als Reinhold. Nachher will ich noch raten, von wem dein Aftershave ist. Hast du Reinhold schon einmal gesehen?«
Ich fühlte so etwas wie Eifersucht in mir aufsteigen, hielt es aber zunächst für Hunger. »Nur im Fernsehen«, antwortete ich.
»Fernsehen ist kein Beweis«, sagte der Yeti.
»Wollen Sie Beweise?«, fragte ich. »Was suchen Sie überhaupt auf einer Tour wie dieser?«
Der Yeti zog einen schmalen, länglichen Block mit der Aufschrift »Burkhof-Kaffee« aus der Tasche und las hastig hingekritzelte Worte ab: »Todesnähe, Lächerlichkeit, Selbstgespräche, das Nichts, die göttliche Bedeutung der Mutter, Schwierigkeiten überhaupt, Liebe & rätselhafte nächtliche Samenergüsse, die Vergänglichkeit als Einzelwesen.«
»Haufen Zeug«, sagte ich. »So formulierte es Reinhold Messner auch immer. Wissen Sie eigentlich, dass er manchmal Witze über Sie erzählt?«
»Sind sie gut?«, fragte der Yeti.
»Trifft ein Yeti den anderen«, erzählte ich. »Sagt der eine: Ich habe Messner gesehen. Sagt der andere: Gibt’s den wirklich?«
»Aber so ist es doch!«, rief der Yeti und richtete sich steil auf. »Genauso ist es. Es gibt Yetis, die glauben an ihn, andere nicht. Und manchmal brechen Tausende zur gleichen Zeit auf und laufen stundenlang durch die deutschen Städte und suchen ihn.«
»Ich hatte das bisher für Stadtmarathons gehalten«, sagte ich verblüfft.
»Und keiner findet ihn, und keiner weiß etwas«, sagte der Yeti.
»Vielleicht ist es besser so«, sagte ich. Das Ungeheuer von Loch Ness ließ sich jetzt auf dem Rücken liegend träge, träge an uns vorbeitreiben und deklamierte aus dem Alten Testament, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Yeti feuerte das Magazin einer Parabellum leer, aber die Schüsse peitschten weit vom Ungeheuer entfernt das Wasser. Ich erinnerte mich an gestern morgen: Ich war im Sockenfach meines Kleiderschranks aufgewacht, hatte kurz überlegt, ob der Kopfschmerz hinten links die Einnahme eines Aspirins rechtfertigen würde, und dann beschlossen, in mein innerstes Innerstes zu gehen. Dort hatte ich stundenlang meditiert, und jetzt fiel mir ein, dass ich beim Hinausgehen vergessen hatte, den Papyrus zu gießen.
»Reisen Sie viel?«, fragte ich.
»Nur nach innen«, antwortete der Yeti. »Aber fünf Jahre lang habe ich bei Volkswagen in Wolfsburg gearbeitet. Eine schöne Zeit. Ich wollte Niedersachsen sehen.«
»Da sind Sie nicht der Erste, der das wollte«, sagte ich.
»Ja, aber niemand vor mir hat Niedersachsen mit Sauerstoffmaske bestiegen.«
»Niedersachsen ist ein zerstörter Traum«, sagte ich.
»Aber du findest dort Zärtlichkeit und Hermann-Löns-Zitate«, sagte der Yeti. »Ich würde Reinhold gern treffen, am liebsten in Gifhorn, notfalls in Südtirol.«
»Warum reicht Ihnen der Glaube an ihn nicht?«, fragte ich.
»Weil ich gerne Pressekonferenzen gebe«, sagte er.
»Gott ist tot«, sagte ich, »den können Sie auch nicht mehr treffen.«
»Tief in meinem Innern sind Speck und Käse und Wein«, sagte der Yeti. »Und eine große Sehnsucht nach Pressekonferenzen. Wenn es Reinhold nicht gibt, stelle ich mich allein der Weltpresse und spreche von meiner Mutter. Auch gut. Auch gut.« Er schlang seine Arme um meinen Hals. »Und dich will ich nicht mehr verlieren, hombre.«
»Lassen Sie uns zusammen in München-Grünwald eine Praxis für Lebensberatung eröffnen«, sagte ich. »Wir kaufen ein Haus, und ich halte Vorträge, und Sie lassen nachts Ihre Augen rot glühen und pfeifen irgendwas.«
»Du hast keine Ahnung von den Hypothekenzinsen«,sagte der Yeti. »Ich kann nicht bleiben. Ich muss immer neu aufbrechen. Wirst du auf mich warten?«
»Wohin wollen Sie?«, fragte ich und beobachtete misstrauisch, wie er langsam die Hose öffnete und über seine riesigen Füße hinweg abstreifte.
»Du hast nur noch eine Frage«, sagte er und starrte gleichmütig auf den träge, träge dahinfließenden Fluss.
Ich zögerte. »Sind Sie… Reinhold?«
Er lachte schrill auf. »Findest du das nicht selbst ein bisschen zu einfach?«
Ich schämte mich entsetzlich. Mit einem eleganten Hechtsprung tauchte der Yeti in den träge,
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