Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
Buchstaben! Einzelne Farben!
Da wird man fragen dürfen, ob mehr in der langen Zeit nicht möglich war. Die Antwort ist: Jene Schimpansin hat in all den Jahren an einem ganz anderen Projekt gearbeitet, an ihrer Befreiung aus dem Primatenzentrum der Universität Kyoto nämlich. Ich las, sie habe den Schlüssel ihres Käfigs entwendet, denselben mit dem Ruf »Etwas Besseres als ein Primatenzentrum finden wir überall!« auf den Lippen geöffnet und sei mit ihrem Gefährten Akira und dem Orang-Utan Du-Du in den Bergen verschwunden.
Was aber wollte sie dort? Einen Staat gründen? Menschenversuche machen? Eine ökologische Marktwirtschaft praktizieren? Japanische Fotoapparate nachbauen? Den Orang-Utan in der Unterscheidung einzelner Buchstaben und Farben unterrichten?
Ach, ich weiß immer noch so wenig über die Schimpansen. Über ihr Denken. Ihr Wollen. Ihr Fühlen. Hätte ich einen Schimpansen im Büro, wäre das anders. Ich wäre Tag für Tag mit ihm zusammen und würde ihn in- und auswendig kennen. Alles wäre anders als jetzt, da die Affen in anonymen Primatenzentren geschult werden und, kaum hat man ihnen das Nötigste beigebracht, nichts anderes denken als: Flucht!
Weglaufen? Wer sollte vor mir weglaufen? Vor mir, der ich Schimpansen liebe wie mein eigen Fleisch und Blut! Süße, liebe, lustige Schimpansen, die aus Becherlein trinken und mit einer Serviette um den Hals essen können!
Es stimmt, einmal habe ich auch geträumt, Kurt habe in die Berge abhauen wollen – »affengeile Berge«, sagte er immer. Er kam aber gleich wieder und sagte, er habe nicht einmal die S-Bahn zum Starnberger See nehmen können, weil er das Tarifsystem des Münchner Verkehrsverbundes nicht kapiert habe. Das konnte ich ihm auch nicht erklären, und so ist er geblieben.
HÜHNER MEINES LEBENS
»Leider verbinden sich in der Vorstellung vieler mit dem Wort ›Hühner‹ nur die Begriffe Eier und Fleisch. Dieses Ratschlagbuch will aber auch auf die Schönheit des Tieres und auf das Interessante in der Zucht aufmerksam machen und nicht zuletzt die Liebe zum Tier anregen.«
Sebnitz, Juni 1985, Fritz Schöne (Vorwort zu »Ratschläge für die Hühnerhaltung«)
»Möge das Handbuch den Lesern solche Freude bringen, wie wir sie seit Langem von unserem Haushuhn empfangen!«
Schwalmstedt, Frühjahr 1985, Horst Schmidt (Vorwort zu: »Handbuch der Nutz- und Rassehühner«)
M EIN ERSTES H UHN hieß Bastian. Es stand eines Tages in der Tür zu meinem Büro und sagte: »Wissen Sie überhaupt, warum ich immer zwei verschiedene Socken trage?«
Ich sagte: »Nein.«
»Ach, wissen Sie, es ist verrückt«, sagte das Huhn, flatterte auf meine Bürolampe und sagte noch einmal »verrüüüückt«,mit einem so ganz lang gezogenen »üüüü«, das den meisten Hühnern zu eigen ist, wie ich noch lernen sollte. »Es ist einfach eine Geschichte, die in meine Kindheit zurückgeht. Wir wohnten damals in einem winzigen Ort. Ich musste morgens immer den Bus in die Stadt aufhalten, weil meine Geschwister regelmäßig zu spät dran waren. Einmal war es besonders knapp, da habe ich in der Eile meine Strümpfe verwechselt. Die anderen fanden das komisch, aber mir hat es gefallen. Seitdem trage ich immer zwei verschiedene Socken. Ich glaube, das bringt Glück.« Glüüüück.
Ich war damals, glaube ich, gerade Redakteur einer Männerzeitschrift und machte mit dem Huhn sofort ein Interview über die, wie es sagte, »Komposition meiner Gesamterscheinung«.
»Tragen Sie immer rote Hosen?«, fragte ich zum Beispiel, und Bastian erzählte eine Geschichte von einem Schneider in London, bei dem er sich in einen leichten roten Stoff verliebt habe, ein wunderbarer, kindisch roter Stoff, aus dem er sich gleich 20 Hosen habe machen lassen, für den Sommer. Im Winter trage er Cordhosen, auch rot natürlich. Oder grau.
»Oh Baby«, sagte ich, »und Ihre Füße stecken in blauen Samtschuhen mit eingesticktem Goldwappen.«
»Yeaaaah«, gackerte das Huhn, nun schon ziemlich aufgekratzt, »sie sind von Tricker’s und sind so leicht wie Hausschuheund sind doch zugleich eine Ironie auf Hausschuhe, nicht?«
Wir küssten uns und gingen in den Franziskaner, um ein wenig aufzufallen. Zum Auffallen gehe ich immer gern in den Franziskaner. Nirgends fällt man so gut auf wie dort. Eine Zeit lang war ich später mit einem Nackthalshuhn befreundet, mit dem ich fast jeden Tag in den Franziskaner ging, um es dort in seinen ekligen, faltigen, nackten Hals zu beißen, bis den Leuten
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