Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
es nie zuvor erlebt hatte. »Mantelpaviane nach Starnberg«, schrie er übermütig, ließ sich rückwärts auf einenStuhl plumpsen und blieb minutenlang wie betäubt sitzen. »Petershausen«, dachte er und weinte fast, »zurückbleiben, Konzerthalle verteidigen.«
Er verließ das Häuschen. Das Gleisbett zwischen den Bahnsteigen, in dem sonst der Zug fuhr, war jetzt voll Wasser. Delphine tummelten sich darin.
Es war 3.59 Uhr. Er hielt die Füße ins Wasser und sang zur Melodie eines französischen Chansons: »Ne pas ouvrir avant l’arrêt du train.«
Auf Speedy Max, einem mittelmäßigen Trabrennpferd, raste in gestrecktem Galopp der Münchner Oberbürgermeister durch den Bahnhof.
Dann war alles ruhig.
ICH TRAF DEN YETI
I N EINER KLEINEN, KLEINEN DEUTSCHEN Stadt saß in einem heißen, heißen Sommer am Ufer des träge, träge dahinfließenden Flusses auf einer von der Raiffeisenbank gespendeten Bank ein alter, alter Mann, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, den Körper vornübergebeugt.
»Wer sind Sie?«, fragte ich ihn, denn ich kannte sonst jeden in der kleinen, kleinen Stadt.
Aus schmal geschlitzten Augen sah er mich von schräg links unten an und sagte: »Ich bin der Yeti.«
»Warum sind Sie an einem heißen, heißen Sommertag nicht in Ihrem Kleinkleingarten und hacken Unkraut«, fragte ich, »wenn Sie der Jäti sind?« Ich entnahm meiner Jackentasche eine faltbare neunschwänzige Katze und flagellierte mich auf den Rücken für diesen Scherz.
Der alte, alte Mann knurrte böse, fletschte die Zähne und schickte mir heißen Knoblauchatem nach Art des Yeti.
»Schulligung«, rülpste ich, »warum sind Sie also nicht in Tibet oder im Kreis Xinnin in der Provinz Hunan?«
»Weil ich die Grenzen des Machbaren suche, des Aushaltbaren, des gerade noch irgendwie Erträglichen«, sagteder Yeti, »und die vermute ich in der deutschen Provinz.« Er fing mit seiner langen, lautlos aus dem Mund schnellenden Zunge eine Fliege und verspeiste sie.
»Weiß der Redakteur der Kreiszeitung, dass Sie hier sind?«, fragte ich.
»Ich bin gestern gekommen«, antwortete der Yeti. »Man muss auf einer solchen Reise den Schmerz langsam steigern. Warten wir also noch ein wenig mit der Kreiszeitung.«
»Dann werden Sie Reinhold Messner also erst in einigen Monaten treffen«, sagte ich.
Der Alte fuhr wie elektrisiert auf. »Messner!!??«, rief er und starrte mich an. »Gibt es ihn wirklich?«
»Es gibt einen Vollbärtigen, der sich so nennt«, sagte ich.
»Oh, really!«, krähte der Alte, »und welche Schuhgröße hat er?« Er zog ein Foto aus der extrem dichten, rostroten Brustbehaarung unter seinem eierschalfarbenen Kaschmirpullover hervor. Es zeigte einige schlecht konturierte schwarze Flecken auf grauem Grund. »Das ist sein Fußabdruck«, erläuterte er.
»Warum nicht?«, sagte ich. »Er behauptet, er habe Sie 1986 in Tibet gesehen. Sie seien riesig groß und schwarz und behaart, und nachts täten Sie pfeifen.«
»Das war mein Cousin«, sagte der Yeti. »Ein unangenehmer Bursche, unentwegt hinter Frauen her. Wahrscheinlichhielt er Messner zuerst für eine Frau und hat deswegen gepfiffen. Bei uns sind auch Frauen stark behaart. Er kennt nur zwei Dinge: Frauen und Schokoriegel.«
»Dann war er es auch, der einmal im Zeltlager des Bersteigers Donald Whillans einen Snickers-Riegel fraß?«
»Es war Mars«, antwortete der Alte.
»Und warum hat er sich Messner nicht zu erkennen gegeben?«, fragte ich. »Ich meine, warum hat er ihm nicht die Hand geschüttelt und ihn etwas gefragt?«
»Ich glaube, er hatte kein Geld dabei. Messner wollte etwas Unterstützung für seine nächste Expedition – nur dann wäre er zu einem Gespräch bereit gewesen.« Es war jetzt so heiß, dass das Ungeheuer von Loch Ness seinen Kopf aus dem träge, träge dahinfließenden Fluss steckte. Der Yeti stellte sich auf die Sitzfläche der Raiffeisen-Bank und bewarf es mit Paranüssen. »Natürlich hat niemand meinem Cousin diese Geschichte geglaubt. Er ist, wie ich sagte, nicht sehr glaubwürdig. Mir hat er dieses Foto gegeben.« Er traf das Ungeheuer von Loch Ness mit einer Paranuss genau zwischen die Augen. Es brüllte vor Schmerz, zog eine wasserdichte gelbe Pocketkamera hervor, fotografierte uns und tauchte ab. Der Yeti legte sich lang auf die Bank, bettete seinen Kopf auf meinen Schoß und sagte:
»Hast du eigentlich an mich geglaubt, chéri?«
»Nachts ja«, sagte ich.
»Und nun bin ich da«, sagte er. »Weißt du, was ichglaube? Ich
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