Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
fast die Augen aus den Köpfen fielen. Ein lebendes Huhn mit einem nackten Hals! Es sah aus, als habe man es rupfen wollen und sei nur bis zum Schlüsselbein gekommen, falls Hühner ein Schlüsselbein haben, meine ich. Da guckte ein langer, dürrer, rosafarbener Nackthals aus einem Cremecaramelfederkleid hervor, es war schon irre.
Ich habe dieses Huhn oft gefragt, warum es so aussieht, und es hat dann eine lange Geschichte erzählt, die unter anderem in einem Dorf namens Schässburg in Siebenbürgen spielte, wo diese Hühner von Vampiren gehalten wurden, die verlangten, dass die Tiere ihre Hälse jederzeit entblößt zur Verfügung hielten. Dann war noch von einem Zauberkult auf Madagaskar die Rede, bei dem man die jeweils längsten Hühnerhälse eines Dorfes zu Zöpfen wand und mit importiertem Elfenbeinmehl gefüllt als Potenzmittel aß. Später glitt die Erzählung ins Wissenschaftliche ab, weil das Huhn mir zu erklären versuchte, dass es nackthalsig nicht erst durch Rupfen oder Rasieren geworden sei, sondernseit Geburt so aussehe. Nackthalsigkeit oder Halsnackigkeit, wie es einmal auch aus Versehen sagte, weil es so schnell sprach, sei im Erbgang dominant, also: Die Nachkommen nackthalsiger und normal gefiederter Eltern hätten schon in der ersten Generation wieder einen bloßen Hals.
Im Übrigen war dieses Huhn außerordentlich widerstandsfähig. Wie oft habe ich im Herbst ihm im Englischen Garten meinen Schal angeboten! Nicht einmal Halsbonbons hat es genommen, es brauchte sie einfach nicht.
Hühner gehen mir allerdings immer auf die Nerven, wenn sie solche Züchtungs- oder Vererbungsgeschichten erzählen, ewig lang und meistens sterbenslangweilig. Sie sind überhaupt schlechte Erzähler, und dauernd quatschen sie von ihrem Nachwuchs. Ich kannte mal eine New Hampshire-Henne, die mich einerseits mit ihren muskulösen, gold-braunen Schenkeln unglaublich scharf machte, andererseits dermaßen penetrant ständig von der »Frohwüchsigkeit« ihrer Küken berichtete, dass es zum Davonlaufen war, allein schon dieses Wort.
Vor fünf Jahren kam ich dann im Flugzeug neben einem älteren Malaien-Kampfhahn mit strengem Raubvogelgesicht zu sitzen, der mir von seinem Essen freundlicherweise den Geflügelsalat überließ und dann behauptete, er sei ein sogenannter »Mehrsbachscher Kämpfer«, eine Kreuzung indischer und englischer Kampfhähne, die als ausgestorben gelte, deren letzten Vertreter ich aber hier vor mir hätte. (Erhabe, sagte er, by the way, in Neu-Delhi gerade einige Hühner begattet, um diese Linie wieder aufzunehmen.) Der Malaien-Hahn starrte mich aus tief liegenden gelben Augen unter wulstigen Augenbrauen an und erzählte fast den ganzen Flug von Indien nach Frankfurt von seinen Vorfahren, von denen einer um die Jahrhundertwende General der Fußartillerie gewesen sei und es später bis zum Posten des Leiters der Abteilung »Fremde Hühner Ost« im Generalstab gebracht habe. Dann schimpfte er auf das »Haus Bismarck und seine Mamelucken« und verlangte, dass »im Osten endlich losgeschlagen« werde. »Wir Malaien«, schwadronierte er, »verkörpern stolzes Reckentum, eine hochgewachsene, Achtung gebietende Hoheit. Malaien sind keine Herdentiere, sie sind Kostbarkeiten, die die Natur uns schenkte.« Das sei ein Zitat von F. W. Perzlmeyer.
»Bürzelmeyer?«, fragte ich kichernd zurück und hustete ihm vor Lachen seinen eigenen Salat auf den linken Flügel.
»Mit Namen macht man keine Witze«, sagte er scharf und hackte mir mit dem Schnabel das rechte Auge aus, sodass wir das Mistvieh über Rumänien aus dem Flugzeug warfen, wobei es leider in die rechte Turbine geriet.
Ein Jahr später lernte ich in der Nähe von Dessau zum ersten Mal ein Deutsches Reichshuhn kennen, während der Umbruchphase kurz vor der Wiedervereinigung, als ich ständig geschäftlich drüben zu tun hatte und privat übernachtete, weil die Hotels überfüllt waren.
Natürlich musste ich mir, als ich abends ankam, im Haus so kritzigkratzige blaue Kunststoffpantoffeln anziehen, das ist bei den Deutschen Reichshühnern üblich. Und abends saßen wir stundenlang im Wohnzimmer und quatschten, und das Reichshuhn lag längs auf seinem Sofa; man muss sich das mal vorstellen, so ein mittelschweres, lang gestreckt rechteckiges, regelrecht backsteinförmiges, schwarz-weiß-rotes Reichshuhn lag, Pantoffeln nun natürlich abgestreift, der Länge nach auf seinem Sofa, trank Dosenbier und erzählte von früher, als es Schwimmtrainer war und seinen
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