Naechtliche Versuchung - Roman
werde es merken.«
Die alte Frau nickte und hielt die Vorhänge für ihn auf. »Da wir gerade von Leuten reden, die auf ihre Wunden achten müssen - komm wieder und lass dir helfen. Du meine Güte, einen so schlimmen Rücken wie deinen habe ich noch nie gesehen. Wieso um alles in der Welt hast du diese Prügel hingenommen? Und ich weiß, das hast du absichtlich geduldet. Ein so mächtiger dunkler Jäger wie du gestattet so etwas nur, wenn er es will.«
Darauf gab Ash keine Antwort, obwohl er den Grund kannte. Niemals würde Artemis einem ihrer dunklen Jäger die Freiheit schenken. Wenn sie danach strebten, mussten sie einen hohen Preis bezahlen. Um Kyrian die Chance zu geben, Desiderius zu töten, hatte er einen Teil seines Fleisches
geopfert. Vor allem würde sein geschundener Rücken dem General helfen, sein Glück zu finden. Diesem blutigen Ritual unterzog sich Acheron bereitwillig, wann immer dunkle Jäger ihre Seelen zurückgewinnen wollten. Von seinem unvorstellbaren Martyrium wussten sie nichts.
Was zwischen Artemis und Ash geschah, war streng geheim. Und dabei sollte es auch bleiben.
Kyrian ging zur Bourbon Street, wo er in jener verhängnisvollen Nacht die Punks gefunden hatte. Obwohl seine Schmerzen nachließen, quälten sie ihn immer noch.
Nach einer Stunde fand er, was er suchte, und die Miene des Lakaien war unbezahlbar.
»Ach, du Scheiße!«
Bevor der Junge davonlaufen konnte, packte Kyrian ihn am Kragen. »Sag Desiderius, ich wäre noch nicht mit ihm fertig.«
Wortlos nickte der Junge. Kyrian ließ ihn los und sah ihn die Straße entlangstürmen. Der wichtigsten Kriegsregel zufolge garantierte eine Überraschungsattacke praktisch den Sieg.
Diese Überraschung war besonders effektvoll. Trotzdem wollte er seinen Vorteil nicht nutzen. Sonst würde er riskieren, dass Amanda oder die Mitglieder ihrer Familie zu Schaden kamen. Wenn Desiderius einen dunklen Jäger bekämpfte, würde er die Menschen in Ruhe lassen. Kyrian hinkte zu dem Jaguar zurück und fuhr zu Esmeraldas Haus - zu dem einzigen Ort, wo er inneren Frieden fand.
»Wo warst du?«, fragte Amanda, sobald er zurückkehrte.
»Ich hatte zu tun.«
»Verdammt!«, fluchte Nick. »Du hast Desiderius gesucht, nicht wahr? Hast du ihm die Nachricht geschickt, dass du noch lebst.«
Kyrian ignorierte ihn und setzte sich auf die Couch.
Besorgt musterte Amanda sein müdes Gesicht. »Bist du okay?«
Er nickte und streckte sich auf dem Sofa aus.
Die Hände geballt, wanderte Nick im Zimmer umher. »Zum Teufel, Kyrian …«
»Verschone mich, Nick, ich bin nicht in Stimmung.«
»Also gut, dann lauf doch los und lass dich umbringen!« Nicks Nasenflügel bebten. »Warum interessiert mich das? Ich kriege das Haus und die Autos und alles andere. Also sag Desiderius, du bist verwundet und halb tot. Warum sperre ich nicht einfach die Haustür auf und lade ihn ein?«
»Damit helfen Sie ihm nicht, Nick«, mahnte Amanda sanft.
In seinen Augen las sie tiefen Schmerz, seine Liebe zu dem dunklen Jäger, der ihm den Vater ersetzte. »Wissen Sie was?«, fauchte er. »Das alles ist mir scheißegal. Weil ich niemanden brauche.« Mit einem bebenden Finger zeigte er auf Kyrian. »Ich brauche weder dich noch dein Geld oder sonst was. Noch nie habe ich jemanden gebraucht. Nur mich selber. Also geh da raus und stirb! Was kümmert’s mich?« Verbittert wandte er sich zur Tür.
Schneller, als Amanda blinzeln konnte, sprang Kyrian auf und versperrte seinem Knappen den Weg.
»Lass mich vorbei!«, stieß Nick hervor.
Kyrians Lächeln bekundete die Geduld eines Vaters mit einem rebellischen Teenager. »Nein, Nick, ich werde nicht sterben.«
»Wirklich nicht? Was meinst du, wie oft das Streigar zu Sharon gesagt hat, bevor er in einen knusprig gegrillten dunklen Jäger verwandelt wurde?« Mit einer hektischen Geste schüttelte er Kyrians Hand von seinem Arm und stürmte aus dem Haus.
Seufzend zog Kyrian sein Handy aus dem Gürtel und wählte eine Nummer. »Hallo, Acheron, ich glaube, mein aufmüpfiger Knappe fährt gerade ins French Quarter - in einem neuen anthrazitgrauen Jaguar XKR-Kabrio. Würdest du ihn abfangen, bevor er eine Dummheit macht?« Die Stirn sorgenvoll gerunzelt, lauschte er und erwiderte Amandas Blick. »Ja, danke.« Dann schien ihn Acherons Antwort maßlos zu ärgern. »Gewiss, großer Herr und Meister, ich ruhe mich aus …« Schockiert hob er die Brauen. »Wieso weißt du, dass ich stehe?« Nach einer kurzen Pause schnaufte er verächtlich. »Du
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