Naechtliches Schweigen
ich die einzige Frau der Welt für ihn. Er sagte, er liebt mich, und alles, was er wollte, sei, mich glücklich zu machen. Und dann mache ich immer wieder etwas falsch - ich weiß gar nicht, was - irgendwas ist immer - und dann... er schlägt mich!«
»Er tut was?« Wenn Emma behauptet hätte, Drew seien Flügel gewachsen und er sei zum Fenster hinausgeflogen, Marianne hätte es eher geglaubt. »Er schlägt dich?«
Emma war zu sehr in sich versunken, um den ungläubigen Unterton wahrzunehmen. »Manchmal kann ich tagelang nicht richtig laufen. In der letzten Zeit ist es schlimmer geworden.« Blicklos starrte sie auf ein pastellfarbenes Gemälde an der Wand. »Manchmal glaube ich, er will mich umbringen.«
»Emma, sieh mich an!« Marianne nahm das Gesicht der Freundin in beide Hände. Sie sprach jetzt sehr langsam. »Versuchst du, mir mitzuteilen, dass Drew dich körperlich misshandelt?«
»Ja.«
Marianne pfiff leise durch die Zähne. Diese Nachricht war schwer zu verdauen. »Trinkt er, nimmt er Drogen?«
»Nein. Ich habe ihn nur einmal betrunken erlebt - in unserer Hochzeitsnacht. Er nimmt auch keine Drogen. Drew hasst es, die Kontrolle über sich zu verlieren. Es liegt an mir. Offenbar sage oder tue ich immer das Falsche, irgend etwas Dummes, und das bringt ihn so auf.«
»Jetzt mach mal 'nen Punkt!« Kochend vor Zorn sprang Marianne auf und ging im Raum auf und ab wie ein gefangener Tiger. »Du hast in deinem ganzen Leben noch nichts Dummes getan. Wir lange geht das schon so, Emma?«
»Den ersten Krach hatten wir ein paar Monate, nachdem wir umgezogen sind. Es war nicht so schlimm, er hat mich damals nur einmal geschlagen. Und hinterher hat es ihm so leid getan, dass er anfing zu weinen.«
»Mir blutet das Herz«, knurrte Marianne, ging zur Tür und ließ den Zimmerkellner herein. »Lassen Sie nur, Sie brauchen nicht zu servieren.« Sie unterschrieb die Rechnung, steckte ihm den versprochenen Zwanziger zu und schob ihn zur Tür hinaus. Erst mal eine Stärkung, beschloss sie und schenkte zwei Gläser Grand Marnier ein.
»Trink das«, befahl sie streng. »Ich weiß, du kannst das Zeug nicht leiden, aber wir haben beide einen Schluck nötig.«
Emma nippte vorsichtig an ihrem Glas. Sofort breitete sich die Wärme in ihrem ganzen Körper aus. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Anscheinend kann ich keine eigenen Entscheidungen mehr treffen.«
»Dann laß mich mal ein paar Minuten für dich entscheiden. Ich bin dafür, diesen Hurensohn zu kastrieren.«
»Ich kann nicht mehr zurück, Marianne. Wenn ich zu ihm zurückgehe, dann - dann werde ich irgend etwas Schreckliches tun. Ich weiß es!«
»Na, das ist doch schon mal eine Entscheidung. Kannst du was essen?«
»Nein, noch nicht.« Sie musste noch einen Moment still sitzenbleiben, um die Ungeheuerlichkeit ihres Handelns zu erfassen. Sie hatte Drew verlassen. Sie war entkommen. Und nun hatte sie ihre Freundin, ihre älteste und beste Freundin zu Hilfe gerufen. Emma schloss die Augen. Erneut stieg Scham in ihr hoch.
»Marianne, es tut mir schrecklich leid. Ich weiß, dass ich deine Anrufe nicht beantwortet habe, dass sich unsere Freundschaft in den letzten Monaten abgekühlt hat. Aber er hat mir den Kontakt mit dir verboten.«
Marianne zündete zwei Zigaretten an und reichte eine an Emma weiter. »Deswegen laß dir jetzt mal keine grauen Haare wachsen.«
»Er hat mir sogar gesagt, dass du..., dass du versucht hast, ihn mir wegzunehmen.«
»Wovon träumt der denn nachts?« Fast hätte sie laut losgelacht, doch Emmas Gesichtsausdruck hinderte sie daran. »Du hast ihm doch wohl nicht geglaubt?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber... es gab Zeiten, da habe ich ihm alles abgenommen, was er mir weisgemacht hat. Es war einfacher so.« Wieder schloss sie die Augen. »Aber das schlimmste war, dass es mir nichts ausgemacht hätte.«
»Wenn du mich bloß angerufen hättest!«
»Ich konnte mit dir nicht darüber reden, und ich hätte es nicht ertragen, wenn du die Wahrheit über unsere Beziehung herausgefunden hättest.«
»Ich hätte dir geholfen.«
Emma konnte nur hilflos den Kopf schütteln. »Ich schäme mich so.«
»Wofür denn?«
»Ich habe mich nicht gewehrt, oder? Er hat mir ja schließlich keine Pistole an die Schläfe gehalten. Das zumindest hat er nie getan. War ja auch nicht nötig.«
»Ich weiß auch keinen Rat, Emma. Oder doch. Du solltest zur Polizei gehen.«
»Alles, nur das nicht! Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir. Außerdem - wer
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