Naechtliches Schweigen
Michael. Es ist alles gut.«
Ihr Atem ging stoßweise, und ihr Körper zitterte wie unter Schüttelfrost. Michael zog sie an sich und wiegte sie hin und her, bis die Verkrampfung nachließ und er ihr die Waffe aus der Hand winden konnte. Sie weinte nicht mehr, sondern stöhnte nur noch leise wie ein verwundetes Tier.
»Der Notarzt ist unterwegs.« Nach einem flüchtigen Blick auf Drews Leiche kniete sich McCarthy neben Michael. »Der hat sie ganz schön zugerichtet, was?«
Ohne Emma loszulassen, drehte Michael den Kopf und musterte Drew Latimers sterbliche Überreste lange. »Zu schade, dass man nur einmal sterben kann.«
»Ja.« McCarthy stand kopfschüttelnd auf. »Sieh dir das an. Dieser Hurensohn hält immer noch den Gürtel fest.«
Brian saß im hohen, süß duftenden Gras neben Darrens Grab und beobachtete die vorüberziehenden Wolken. Jedesmal kam er in der Hoffnung hierher, endlich Frieden zu finden. Jedesmal war diese Hoffnung vergeblich. Trotzdem kam er immer wieder.
Auf dem kleinen marmornen Grabstein waren nur ein Name und zwei Daten eingemeißelt. Die Jahreszahlen lagen erbärmlich nahe beieinander.
Seine Eltern lagen ganz in der Nähe begraben, doch obgleich Brian sie jahrzehntelang gekannt hatte, war ihm das Gesicht seines Sohnes deutlicher in Erinnerung geblieben.
Vom Friedhof aus konnte er die frischgepflügten Felder überblicken; braune Hecken, die sich von dem satten Grün der Wiesen abhoben. Buntgescheckte Kühe grasten friedlich vor sich hin. Es war noch früh am Morgen. Ein Morgen in Irland war ideal, um einfach nur dazusitzen, und zu träumen. Das Licht schien so weich, beinahe milchig, wie man es nur in Irland fand. Außer dem gelegentlichen Bellen eines Hundes und dem entfernten Summen eines Traktors herrschte Stille.
Bei seinem Anblick blieb Bev stehen. Sie hatte nicht gewusst, dass er auch hier war. All die Jahre hatte sie es sorgfältig vermieden, zur gleichen Zeit wie Brian hierherzukommen. Er sollte sie hier nicht sehen, an dem Grab, an dem sie vor so vielen Jahren nebeneinander standen.
Beinahe hätte sie wieder kehrtgemacht. Doch in der Art, wie er dasaß, die Hände auf die Knie gestützt, und in die Ferne schaute, lag etwas Verlorenes. Er wirkte einsam.
Beide waren sie einsam.
Leise kam sie näher. Er hörte sie nicht; erst als ihr Schatten über ihn fiel, hob er den Kopf. Wortlos legte sie den Fliederstrauß, den sie mitgebracht hatte, neben den Grabstein und kniete seufzend nieder.
Still lauschten sie dem Wind, der in dem hohen Gras rauschte, und dem Schnurren des Traktors.
»Möchtest du, dass ich gehe?« fragte er schließlich.
»Nein.« Liebevoll strich Bev mit der Hand über das weiche Gras, unter dem ihr Sohn schlief. »Er war so schön!«
»Ja.« Brian kämpfte mit den Tränen. Es war lange her, dass er hier das letztemal geweint hatte. »Er sah dir so ähnlich.«
»In ihm hat sich das beste von uns beiden vereinigt.« Bevs Stimme klang ruhig. Wie Brian blickte sie zu den Bergen hinüber. In all den Jahren hatten sie sich kaum verändert. Doch das Leben ging weiter. Das war die härteste Lektion gewesen, die sie lernen musste. »Er war so voller Lebensfreude. Und er hatte dein Lächeln, Bri. Deins und Emmas.«
»Er war immer glücklich. Wenn ich an ihn denke, dann sehe ich ihn nur glücklich.«
»Meine größte Angst war immer, dass ich vergessen würde. Dass sein Gesicht und die Erinnerung an ihn mit der Zeit verblassen würden. Aber das war nicht der Fall. Ich erinnere mich noch genau an sein Lachen, dieses Lachen, das einfach so aus ihm herausgesprudelt war. Ich habe ihn zu sehr geliebt, Bri.«
»Man kann nicht zu sehr lieben.«
»Doch.« Sie schwieg eine Weile. »Glaubst du, dass alles umsonst ist? Dass alles, was er war und hätte sein können, mit seinem Tod dahin ist?«
»Nein.« Zum erstenmal sah er sie direkt an. »Nein, das glaube ich nicht.«
Seine Antwort machte den ganzen Unterschied deutlich. »Aber ich habe das zuerst gedacht. Wahrscheinlich habe ich deswegen so sehr gelitten. Der Gedanke, dass so viel Schönheit, so viel Freude nur so kurze Zeit existiert hat, war mir unerträglich. Aber mit der Zeit habe ich erkannt, dass ich einem Irrtum unterlegen bin. Er lebt in meinem Herzen weiter. Und in deinem.«
Brian sah an ihr vorbei zu den fernen Bergen. »Es gibt Zeiten, da möchte ich nur vergessen. Zeiten, in denen ich alles tue, nur um zu vergessen. Es ist so furchtbar, sein eigenes Kind zu überleben.«
»Wenn du diese Erfahrung
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