Naechtliches Schweigen
Angewohnheiten angenommen. Früher habe ich nie im Bett gegessen.« Emma tauchte ihren Löffel in das Eis und bot ihn Michael an. »Marianne und ich haben zu Schulzeiten immer Schokoriegel in unserem Zimmer gehortet und die nachts heimlich ins Bett geschmuggelt. Furchtbar dekadent kamen wir uns dabei vor.«
»Ich dachte immer, Mädchen pflegen nachts Jungs ins Zimmer zu schmuggeln.«
»Nein, bloß Schokolade. Von Jungs haben wir nur geträumt. Sex war unser Hauptthema, und was haben wir die Mädchen beneidet, die angeblich schon Erfahrungen hatten.« Sie lächelte ihn an. »Aber die Realität hat alle Erwartungen übertroffen.«
Michael spielte mit dem Spaghettiträger ihres Tops, der ihr von der Schulter gerutscht war. »Wenn ich hier einziehen würde, könnten wir unseren Horizont in dieser Hinsicht noch gewaltig erweitern.«
Er sah sie antwortheischend an. Emma wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. »Michael, ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich dieses Haus behalten oder mich nach einem anderen umsehen soll.« Zwar entsprach diese Behauptung durchaus der Wahrheit, doch beiden war klar, dass es eigentlich eher eine Ausrede als eine Antwort war. »Ich brauche genug Platz für ein Studio und eine Dunkelkammer. Es muss doch einen Ort geben, wo das alles möglich ist.«
»Hier in L. A.?«
»Ja.« New York würde nie wieder ihre Heimat werden. »Ich möchte hier von vorne anfangen.«
»Gut.«
Offenbar hatte er keine Ahnung, was sie unter einem Neuanfang verstand. »Ich muss mich darauf konzentrieren, Material für eine neue Ausstellung zusammenzutragen. Ich habe hier bereits einige Kontakte geknüpft, und wenn das mit dem Buch klappt...«
»Welchem Buch?«
Emma glättete die Laken und atmete einmal tief durch. »Meinem Buch. Vor ungefähr achtzehn Monaten habe ich die Rechte verkauft. Es handelt von Devastation und enthält Fotos aus meiner Kinderzeit bis hin zu der letzten Tournee, auf der ich Papa begleitet habe. Das Datum des Erscheinens ist schon mehrfach verschoben worden, weil... wegen allem, was geschehen ist. Aber jetzt soll es in sechs Monaten rauskommen.« Emma blickte aus dem Fenster. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb graue Regenschwaden gegen die Scheibe. »Ich habe auch schon ein Konzept für ein zweites Buch entworfen. Der Verleger scheint interessiert zu sein.«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?« Ehe sie eine Entschuldigung stammeln konnte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie. »Und wir haben nur Mineralwasser, um das Ereignis zu begießen.«
Emmas Anspannung ließ merklich nach. »Na und?«
»Meine Mutter bringt mich um, wenn du ihr nicht ein paar Erstausgaben signierst.«
Das war alles? dachte sie verwundert. Keine Forderungen, keine Fragen, keine boshafte Kritik? »Ich... der Verleger möchte, dass ich damit auf Werbetour gehe. Das bedeutet, dass ich öfter mal verreisen muss.«
»Und wann kann ich dich im Umsehen bewundern?«
»Ich - ich weiß noch nicht. Ich habe dem Verleger gesagt, dass ich voll und ganz zur Verfügung stehe, wenn das Buch erscheint.«
Ihr Tonfall ließ ihn aufhorchen. »Soll das ein Test sein, Emma? Wartest du darauf, dass mir Reißzähne wachsen, wenn du mir erzählst, dass du ein eigenes Leben führst?«
»Vielleicht.«
»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.« Michael war im Begriff aufzustehen, doch sie hielt ihn zurück.
»Nicht. Falls ich mich nicht fair verhalte, entschuldige bitte, aber für mich ist es nicht immer leicht. Ich weiß, dass es unfair ist, Vergleiche anzustellen, aber unbewusst geschieht das schon mal.«
»Dann gib dir mehr Mühe«, schlug er lakonisch vor und langte nach seinen Zigaretten.
»Verdammt, Michael, er ist meine einzige Vergleichsbasis. Ich habe nie mit einem anderen Mann zusammengelebt, nie mit einem anderen geschlafen. Du verlangst von mir, dass ich so tue, als ob nichts geschehen sei, als ob ich niemals benutzt oder verletzt wurde. Ich soll das alles vergessen und einfach so weiterleben, damit du dich um mich kümmern kannst. Jeder Mann, der in meinem Leben bislang eine Rolle gespielt hat, wollte über mich bestimmen, weil er mich für zu schwach, zu dumm oder zu hilflos hielt, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Ist ja gut.«
Doch Emma war nicht mehr zu bremsen. »Mein Leben lang haben andere mir vorgeschrieben, was ich zu tun und zu lassen habe. Alles nur zu meinem Besten, versteht sich. Papa hat von mir verlangt, die Geschichte mit Darren zu vergessen, nicht
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