Naechtliches Schweigen
hatte er seinen Eltern förmlich abringen müssen. Der Kronkorken seiner ersten illegalen Flasche Bier. Grinsend schob er ihn beiseite und stieß auf den Schnappschuss von ihm und Brian McAvoy.
Das kleine Mädchen hatte Wort gehalten, dachte Michael. Nur zwei Wochen nach diesem unglaublichen Tag, an dem er seinen Vater begleiten durfte und Devastation kennengelernt hatte, war das Bild eingetroffen, zusammen mit einer taufrischen Pressung des neuesten Albums. Wochenlang hatten ihn seine Mitschüler beneidet.
Michael dachte an diesen Tag zurück, an die fast unerträgliche Aufregung, die schweißnassen Achselhöhlen. Schon lange hatte er sich nicht mehr daran erinnert. Und nun, vielleicht aufgrund seines neu erworbenen Erwachsenenstatus, erkannte er, dass die damalige Handlungsweise seines Vaters ausgesprochen ungewöhnlich gewesen war. Und untypisch. Nicht, dass sein Vater nicht für Überraschungen gut gewesen wäre, aber er war in dienstlicher Angelegenheit zu den Proben gegangen. Captain Lou Kesselring verband niemals Beruf und Privatleben.
Aber damals hatte er genau das getan.
Seltsamerweise sah er nun, da er sich an all das erinnerte, seinen Vater förmlich vor sich, wie er sich Nacht für Nacht durch Aktenberge hindurch arbeitete. Nie zuvor oder danach hatte sein Vater sich Arbeit mit nach Hause gebracht.
Der kleine Junge, Brian McAvoys kleiner Sohn, war ermordet worden. Die Zeitungen hatten die Sache groß herausgebracht und wärmten sie von Zeit zu Zeit wieder auf, vielleicht weil der Fall nie aufgeklärt worden war.
Der Fall, für den sein Vater zuständig gewesen war.
In genau diesem Jahr war Michael in das Baseballteam seiner Schule aufgenommen worden, und sein Vater hatte die meisten Spiele verpasst. Und häufig auch das Abendessen.
Das alles war nun schon lange her, und Michael überlegte, ob sein Vater überhaupt noch an Brian McAvoy oder dessen toten Sohn dachte. Oder an das kleine Mädchen, das das Foto aufgenommen hatte. Es wurde behauptet, sie habe mit angesehen, was ihrem Bruder zugestoßen war, und habe darüber den Verstand verloren. Doch Michael war sie damals völlig normal erschienen. Er erinnerte sich verschwommen an ein zartes Ding mit hellem Haar und großen, traurigen Augen. Ihre Stimme war genauso weich wie die ihres Vaters gewesen.
Arme Kleine, dachte er und legte die Quaste über den Schnappschuss. Was wohl aus ihr geworden war?
12
Emma mochte kaum glauben, dass die Zeit schon fast wieder um war. In weniger als einer Woche würde sie an die Saint Catherine's Academy zurückkehren müssen. Marianne hatte ihr gefehlt, und bald würde sie die Freundin wiedersehen, könnte ihr dann von allen Ereignissen dieses Sommers berichten. Des schönsten Sommers ihres Lebens, obwohl sie nur zwei Wochen davon in New York zugebracht hatte. Alle miteinander waren sie zunächst nach London geflogen, um dort Aufnahmen für einen Dokumentarfilm zu machen, und hatten wie in alten Zeiten im Ritz Tee getrunken. Emma hatte viel Zeit mit Johnno, Stevie und P. M. verbracht, ihnen zugehört und bei Fisch und Chips mit ihnen in der Küche gesessen, während sie über ihre Musik diskutierten.
Berge von Filmrollen warteten darauf, entwickelt zu werden. Sie würde die Fotos in ihr Album kleben, damit sie sie wieder und wieder anschauen und ihre Erinnerungen aufleben lassen könnte.
Sozusagen als verfrühtes Geburtstagsgeschenk hatte ihr Vater sie zum Friseur begleitet, wo man ihr die erste richtige Frisur ihres Lebens mache. Sie trug ihr schulterlanges Haar jetzt in Korkenzieherlocken und fühlte sich sehr erwachsen.
Außerdem begann sich ihre Figur endlich zu entwickeln.
Emma linste verstohlen in ihr Bikinioberteil. Nein, einen Traumbusen hatte sie noch nicht, aber zumindest konnte sie niemand mehr für einen Jungen halten. Schön braun war sie auch geworden. Anfangs hatte sie ja bezweifelt, dass sie die letzten Wochen in Kalifornien genießen könnte, aber allein wegen der Bräune hatte sich der Aufenthalt gelohnt.
Und erst das Wellenreiten! Ein regelrechter Feldzug war erforderlich gewesen, bis Brian ihr gestattet hatte, ihr Glück in den Wellen zu versuchen. Emma wusste, dass sie ihr hellrotes Surfbrett eigentlich Johnno verdankte, der Brian so lange gehänselt und geneckt hatte, bis dieser nachgab. Ohne Johnno würde sie jetzt noch als bloße Zuschauerin am Strand herumsitzen und alle anderen beim Wellenreiten beobachten.
Viel mehr als hinauszupaddeln und ins Wasser zu fallen brachte sie noch
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