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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht fertig, aber jeder kleinste Fortschritt gab ihr die Möglichkeit, sich etwas weiter von den unter ihren Sonnenschirmen bratenden Leibwächtern zu entfernen. Lächerlich, dachte sie grimmig, als sie ihr Brett ins Wasser schleppte. Niemand hier hatte eine Ahnung, wer sie war.
    Jedes Jahr hoffte sie, ihr Vater würde auf die Leibwächter verzichten, und jedes Jahr erlebte sie eine Enttäuschung. Zumindest konnten sie ihr nicht ins Meer folgen. Emma streckte sich der Länge nach auf dem Brett aus und paddelte durch das kühle Wasser. Obwohl ihr bewusst war, dass sie durch Ferngläser beobachtet wurde, stellte sie sich vor, sie wäre alleine oder, besser noch, Mitglied einer Gruppe von Teenagern, die den Strand bevölkerten.
    Sie glitt über eine Welle und genoss das Auf und Ab, das ihren Magen hüpfen ließ. Meeresrauschen dröhnte in ihren Ohren, untermalt von der Musik aus Dutzenden von Transistorradios. Ein hochgewachsener Junge in blauer Badehose ließ sich von einer Welle sanft bis an den Strand tragen. Emma beneidete ihn sowohl um sein Können als auch um seine Freiheit.
    Da ihr die Freiheit verwehrt blieb, würde sie sich eben darauf konzentrieren, das Können zu erlangen.
    Ungeduldig wartete sie auf die nächste Welle, holte tief Atem, ging in die Hocke, richtete sich dann auf und ließ sich von der Welle mitreißen. Es gelang ihr, sich fast zehn Sekunden zu halten, ehe sie das Gleichgewicht verlor. Als sie wieder auftauchte, sah sie den Jungen in der blauen Badehose zu ihr hinschauen und sich dabei lässig sein dunkles, nasses Haar aus dem Gesicht streichen. Ihr Stolz befahl ihr, wieder auf das Brett zu krabbeln.
    Ein Versuch folgte dem nächsten, und jedesmal rissen ihr die Wellen schon nach einigen Sekunden das Brett unter den Füßen weg. Jedesmal kämpfte sie sich mit schmerzenden Muskeln wieder hoch, paddelte weiter und wartete-
    Bestimmt schlürften die Leibwächter jetzt ihre lauwarmen Drinks und belächelten ihre Ungeschicklichkeit. Jeder Fehlschlag bedeutete eine öffentliche Demütigung und trieb sie nur noch mehr an. Einmal musste sie Erfolg haben, nur einmal! Einmal nur musste es ihr gelingen, auf einer Welle bis zum Strand zu reiten.
    Ihre Beinmuskeln zitterten vor Anstrengung, als sie sich aufrichtete. Mit tanzendem weißem Kamm rollte eine Welle auf sie zu. Emma war bereit, wollte sie, brauchte sie. Nur ein gelungener Ritt, ein Erfolg, der ihr ganz allein gehörte.
    Sie erwischte die Welle genau richtig. Ihr Herz hämmerte wie wild, als sie über das Wasser schoss. Der Strand kam mit unglaublicher Geschwindigkeit näher. Das Dröhnen des Wassers war Musik in ihren Ohren. Einen kurzen Moment lang verspürte sie das Gefühl von Freiheit.
    Der Wasserberg schloss sich hinter ihr, fegte sie vom Brett, schleuderte sie wieder hoch. Bruchteile von Sekunden sah sie die Sonne, dann versank sie wieder in den Wassermassen. Nach Luft ringend kämpfte sie gegen einen unsichtbaren Feind, der sie von allen Seiten bedrohte.
    Ihre Lungen brannten. Mit aller Kraft bemühte sie sich, an die Wasseroberfläche zu gelangen, die über ihr schimmerte, doch sie wurde immer mehr in die Tiefe gezogen. Wie einen Spielball wirbelte das Wasser sie herum, bis die Wasseroberfläche außer Reichweite schien.
    Als ihre Kräfte nachließen, fragte sie sich benommen, ob sie wohl beten sollte. Schon halb bewusstlos erinnerte sie sich an einen Satz aus der Bibel.
    Vater, vergib mir, denn ich habe gesündigt.
    Dann verklang das Gebet, und Musik schien in ihrem Kopf zu hallen. ,
    Come together. Right now. Over me.
    Panik erfüllte sie. Es war dunkel. Dunkel, und die Monster kamen wieder. Ihre Bemühungen, die Oberfläche zu erreichen, wurden schwächer und verebbten in einem wilden Zappeln. Sie öffnete den Mund, wollte schreien, brachte aber nur ein unartikuliertes Würgen hervor.
    Dann spürte sie, dass Hände nach ihr griffen. Außer sich vor Angst, setzte Emma sich heftig zur Wehr, schlug um sich. Das Monster war wieder da; dasselbe, welches sie angelächelt hatte, dasselbe, welches sie töten wollte, so wie es Darren getötet hatte. Als sich ein Arm um ihren Hals schlang, tanzten rote Pünktchen vor ihren Augen und verblassten, sowie sie die Oberfläche erreichte.
    »Ganz ruhig«, redete ihr jemand zu. »Ich bringe dich an Land. Halt dich einfach an mir fest.«
    Keuchend versuchte Emma, den Arm von ihrem Hals zu lösen, bis ihr klar wurde, dass nicht er ihr die Luft abschnürte. Sie konnte die Sonne wieder sehen, und als sie

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