Naechtliches Schweigen
eine tiefen, schmerzhaften Atemzug nahm, brannte die Luft in ihrer Kehle und nicht das Wasser. Sie war noch am Leben. Tränen der Scham und der Dankbarkeit stiegen ihr in die Augen.
»Gleich geht's dir wieder besser.«
Emma legte eine Hand auf den Arm, der sie hielt. »Ich bin rausgetrieben worden«, krächzte sie.
Ein glucksendes, etwas atemloses Lachen antwortete ihr. »Kann man wohl sagen. Aber Mannomann, du hast ja zuvor einen Spitzenritt hingelegt.«
Ja, das hatte sie, tröstete Emma sich und kämpfte mit aufsteigender Übelkeit. Dann spürte sie heißen, körnigen Sand auf der Haut und gestattete ihrem Retter, sie niederzulegen. Leider gehörten die ersten Gesichter, die sie wieder wahrnahm, ihren Leibwächtern. Zu schwach zum Sprechen, konnte sie ihnen nur einen bitterbösen Blick zuwerfen, der sie zwar nicht vertrieb, aber wenigstens am Näherkommen hinderte.
»Bleib noch ein paar Minuten liegen.«
Emma drehte den Kopf zur Seite und hustete einen Schwall Salzwasser aus. Von irgendwoher kam Musik - die Eagles, dachte sie betäubt. >Hotel Californias Vorher, im Dunkeln, da hatte sie auch Musik gehört, aber jetzt konnte sie sich nicht mehr auf die Worte oder die Melodie besinnen. Erneut hustend, blinzelte sie in die Sonne und richtete den Blick dann auf ihren Retter.
Es war der Junge mit der blauen Badehose. Wasser tröpfelte aus seinen dunklen Haaren. Auch seine Augen waren dunkel, von einem tiefen Grau und klar wie ein Bergsee.
»Danke.«
»Schon gut.« Er ließ sich neben ihr nieder, obwohl er sich in seiner Ritterrolle nicht allzu wohl fühlte. Die Jungs würden ihn wochenlang damit aufziehen. Aber er brachte es nicht übers Herz, die Kleine allein zu lassen. Schließlich war sie noch ein Kind. Ein verdammt hübsches noch dazu, dachte er, und sein Unbehagen wuchs. In brüderlicher Manie klopfte er ihr auf die Schulter und stellte fest, dass sie die größten, blauesten Augen besaß, die er je gesehen hatte.
»Ich schätze, mein Brett ist weg.«
Er legte schützend die Hand vor die Augen und suchte das Wasser ab. »Nein, Fred holt es rein. Ist ein schönes Brett.«
»Ich hab's erst seit ein paar Wochen.«
»Ja, ich hab' dich hier schon gesehen.« Er sah auf sie nieder, wie sie sich auf die Ellbogen stützte. Ihre nassen Locken kringelten sich um ihr Gesicht. Eine schöne Stimme hatte sie, überlegte er, weich und irgendwie melodisch. »Bist du Engländerin oder so?«
»Irin, jedenfalls zum Teil. Wir sind nur noch ein paar Tage hier.« Mit einem erleichterten Seufzer registrierte sie, dass der Junge namens Fred ihr Brett an Land zog. »Danke.« Da sie nicht wusste, was sie sagen sollte, konzentrierte sie sich darauf, den nassen Sand von ihrem Knie zu nibbeln.
Der Junge in der blauen Badehose winkte Fred und den anderen, die sich um sie geschart hatten, freundlich zu und bedeutete ihnen, sie in Ruhe zu lassen.
»Wenn mein Vater das hört, lässt er mich nie wieder aufs Wasser.«
»Er muss es ja nicht erfahren.«
»Er erfährt alles.« Emma vermied es, zu ihren Leibwächtern hinüberzuschauen.
»So was kann jedem mal passieren.« Wunderschöne Augen, dachte er wieder und blickte dann mit betonter Aufmerksamkeit auf das Meer. »Du hast deine Sache ganz gut gemacht.«
»Wirklich?« Sie errötete leicht. »Aber du warst wunderbar. Ich hab' dir zugesehen.«
»Danke für die Blumen.« Der Junge grinste und zeigte dabei eine kleine Zahnlücke.
Emma starrte ihn an, und eine Erinnerung blitzte in ihrem Hirn auf. »Du bist Michael.«
»Genau.« Sein Grinsen wurde breiter. »Aber woher kennst du meinen Namen?«
»Sicher erinnerst du dich nicht mehr an mich.« Sie setzte sich auf. »Wir haben uns schon mal getroffen, aber das ist lange her. Ich bin Emma. Emma McAvoy. Dein Vater hat dich einen Nachmittag zu den Proben mitgebracht.«
»McAvoy?« Michael fuhr sich mit der Hand durch das tropfende Haar. »Brian McAvoy?« Sowie er den Namen aussprach, bemerkte er, dass Emma sich verstohlen umblickte,- um zu prüfen, ob ihn jemand gehört hatte. »Jetzt fällt's mir wieder ein. Du hast mir ein Foto geschickt. Ich hab's immer noch.« Seine Augen verengten sich, als er über die Schulter spähte. »Also darum sind sie hier«, murmelte er und musterte die Leibwächter argwöhnisch. »Ich hab' sie für Spanner oder so was gehalten.«
»Leibwächter«, erwiderte sie tonlos und zuckte dann die Achseln. »Mein Vater macht sich Sorgen.«
»Darauf könnte ich wetten.« Ganz deutlich erinnerte er sich an das
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