Naechtliches Schweigen
kennenlernen?«
Michael musste seine schweißfeuchten Hände an den Jeans abwischen. »O ja, das wäre absolut super.«
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen«, meinte Lou zu Brian, als er bemerkte, dass Emma ihm die Frage erspart hatte. »Ich habe meinen Sohn mitgebracht. Ist zwar nicht unbedingt gestattet, aber...«
»Schon gut.« Brian blickte den Jungen, der gerade Johnno anstrahlte, lange neidisch an. Wäre Darren mit elf auch so aufgeweckt, so lebhaft gewesen? »Wie wär's, wenn ich ihm unser neues Album schicke? Es soll erst in ein paar Wochen herauskommen. Damit ist er bestimmt der Star an seiner Schule.«
»Das wäre sehr nett von Ihnen.«
»Ach was. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie dem, was Darren zugestoßen ist, mehr Zeit widmen, als Sie müssten.«
»Keiner von uns beiden hat eben einen Acht-Stunden-Job, Mr. McAvoy.«
»Richtig. Und ich habe Cops immer gehasst.« Brian lächelte schwach. »Ich schätze, das tut man nur so lange, bis man einen braucht. Ich habe einen Privatdetektiv beauftragen lassen, Lieutenant.«
»Das weiß ich.«
Seltsamerweise fiel Brian das Lachen leicht. »Ich kann's mir denken. Man hat mir berichtet, dass Sie in den letzten Monaten mehr geleistet haben als fünf andere Cops zusammen. Das ist aber auch das einzige, was ich nicht von Ihnen erfahren habe. Man käme fast auf die Idee, dass Sie genauso hinter den Tätern her sind wie ich.«
»Er war ein hübscher Junge, Mr. McAvoy.«
»Ja, bei Gott, das war er.« Er betrachtete die Gitarre, die er noch immer in den Händen hielt, und widerstand dem Drang, sie mit Gewalt auf die Erde zu werfen. Statt dessen stellte er sie mit fast übertriebener Sorgfalt beiseite. »Worüber möchten Sie mit mir sprechen?« »Ich will noch einmal auf einige Details eingehen. Ich weiß, dass es eintönig wird.«
»Macht nichts.«
»Ich möchte auch noch einmal mit Emma sprechen.«
Der unbeschwerte Moment war vorüber. »Sie kann Ihnen nichts weiter sagen.«
»Vielleicht habe ich noch nicht die richtigen Fragen gestellt.«
Brian fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er hatte es erst kürzlich ein ganzes Stück kürzer schneiden lassen und war immer noch verblüfft, wenn seine Finger ins Leere griffen. »Darren ist tot, und ich kann Emmas seelische Verfassung nicht aufs Spiel setzen. Sie ist im Moment sehr verletzlich. Erst sechs Jahre alt, und schon zum zweiten Mal in ihrem Leben völlig aus der Bahn geworfen. Sicher haben Sie gelesen, dass meine Frau und ich uns getrennt haben?«
»Das tut mir leid.«
»Für Emma ist es am schwersten. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie sich weiter aufregt.«
»Ich werde sie nicht drängen.« Lou verwarf den Gedanken, eine Hypnosebehandlung vorzuschlagen.
Emma, die ihre Rolle als inoffizielle Gastgeberin sehr genoss, stellte Michael ihrem Vater vor. »Papa, das ist Michael.«
»Hallo, Michael.«
»Hallo.« Seine Zunge schien wie gelähmt, so dass Michael nur ein dümmliches Grinsen zustande brachte.
»Hörst du gern Musik?«
»Und ob. Ich hab' fast alle Ihre Platten.« Er hätte Brian furchtbar gern um ein Autogramm gebeten, wollte aber nicht zu aufdringlich erscheinen. »Es war super, Sie hier spielen zu hören und so. Absolut Spitze.«
»Danke, danke.«
Emma schoss ein Foto. »Papa schickt dir einen Abzug«, versprach sie und bewunderte im stillen Michaels Zahnlücke.
11
Saint Catherine's Academy, 1977
Nur noch zwei Wochen, dachte Emma. Noch zwei endlose, langweilige Wochen, und dann wäre sie für den Rest des Sommers frei. Sie könnte ihren Vater wiedersehen, und Johnno und all die anderen. Sie könnte leben, ohne ständig ermahnt zu werden, dass ihr Leben Gott gewidmet sei. Sie könnte vor sich hin träumen, ohne vor unkeuschen Gedanken gewarnt zu werden.
Ihrer Meinung nach mussten die Nonnen selbst voller unkeuscher Gedanken stecken, um diese auch jedermann sonst zu unterstellen.
Für ein paar kostbare Wochen würde sie in die Welt zurückkehren dürfen. New York. Emma schloss einen Moment die Augen und versuchte, den Lärm, die Gerüche, das Leben der Großstadt heraufzubeschwören. Seufzend stützte sie die Ellbogen auf den Schreibtisch, eine Nachlässigkeit, die Schwester Mary Alice veranlasst hätte, strafend mit dem Lineal auf den Tisch zu schlagen. Statt sich mit den französischen Verben zu beschäftigen, die es zu konjugieren galt, schaute Emma träumerisch über den grünen Rasen zu den hohen Mauern, die die Schule von der sündigen Welt abschirmten
Aber nicht von
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