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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Portemonnaie nach Kleingeld zu kramen. Es wäre unpassend gewesen, ihrer Mutter mit einem Blumenstrauß in der Hand entgegenzutreten.
    Ihre Mutter. Diese Tatsache war nicht zu leugnen, aber es war ihr unmöglich, Jane Palmer als ihre Mutter zu akzeptieren. Allein der Name war ihr fremd - genauso gut hätte sie ihn in irgendeinem Buch gelesen haben können. Anders verhielt es sich mit dem Gesicht. Dieses Gesicht hatte sie ab und an in ihren .Träumen verfolgt; ein Gesicht, welches sich dann vor Ärger verdunkelte und so stets einen Schlag ankündigte. Das Gesicht, das manchmal in People, dem Enquirer oder der Post abgebildet war.
    Ein Gesicht aus der Vergangenheit, dachte Emma. Was hatte es noch mit ihr zu tun?
    Doch warum war sie dann gekommen? Diese Frage stellte sich ihr immer wieder, während sie durch die engen Gassen spazierte. Die Antwort lag auf der Hand. Sie wollte etwas aus der Welt schaffen, das schon vor Jahren hätte geklärt werden sollen.
    Emma überlegte im stillen, ob Jane es wohl für einen guten Witz gehalten hatte, in eines der besseren Viertel zu ziehen, dort, wo einst Oscar Wilde, Whistler und Turner gelebt hatten. Schriftsteller und Künstler wurden seit jeher von Chelsea magisch angezogen. Und Musiker. Mick Jagger besaß hier ein Haus. Oder hatte eines besessen. Emma interessierte es nicht im geringsten, ob die Stones hier noch residierten. Sie war nur wegen einer einzigen Person gekommen.
    Vielleicht sagten Jane ja die Kontraste zu. Chelsea war aus- geflippt und bürgerlich, ruhig und wild zugleich. Es musste ein Vermögen kosten, in einem dieser piekfeinen Häuser zu wohnen. Oder hing Janes Wahl mit Bev zusammen, die sich in demselben Bezirk niedergelassen hatte?
    Auch das war bedeutungslos.
    Sie blieb stehen und spielte nervös mit dem Riemen ihrer Handtasche, während der Schnee langsam auf ihr Haar fiel. Das Haus lag weit entfernt von der schäbigen kleinen Wohnung, die sie einst mit Jane geteilt hatte. Auf alt getrimmt, war es doch nur eine misslungene Kopie eines viktorianischen Wohnsitzes. Trotzdem hätte das Haus auf seine Weise anziehend wirken können, wären der Weg gefegt und die Vorhänge einmal gewaschen worden. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, einen Kranz an die Tür oder Lichterketten ins Fenster zu hängen.
    Wehmütig dachte Emma an das Heim der Kesselrings. Obwohl in Kalifornien nie Schnee fiel, hatte das Haus eine weihnachtliche Wärme ausgestrahlt. Aber schließlich kam sie ja nicht nach Hause, um Weihnachten zu feiern. Sie kam überhaupt nicht nach Hause.
    Tief durchatmend öffnete sie das Tor und stapfte durch den Schnee zur Eingangstür. Trotz ihrer pelzgefütterten Handschuhe waren ihre Hände eiskalt, als sie den Türklopfer hob und gegen das Holz fallen ließ.
    Keine Antwort. Sie klopfte erneut, in der Hoffnung, dass niemand sie hörte. Wenn niemand öffnete, könnte sie sich dann einreden, sie habe ihr Bestes getan, um Jane ein für allemal aus ihrem Leben zu streichen? Plötzlich wollte Emma nur noch fortlaufen, fort von dem Haus, das etwas versprach, was es nicht halten konnte, fort von der Frau, die sie niemals ganz aus ihrem Leben zu verbannen vermocht hatte. Schon wollte sie sich erleichtert abwenden, da ging die Tür auf.
    Emma brachte keinen Ton heraus. Stumm starrte sie die Frau in dem schmuddeligen roten Seidenkimono, der sich über ihren verfetteten Hüften spannte, an. Blondes Haar hing wirr um ein aufgequollenes, teigiges Gesicht. Das Gesicht einer Fremden. Es waren die Augen, die Emma wiedererkannte. Schmale, bösartige Augen, von Alkohol, Drogen oder Schlafmangel gerötet.
    »Nun?« Fröstelnd schlang Jane den Kimono enger um sich. An ihren Fingern glitzerten Diamanten, und zu Emmas Entsetzen verbreitete sie den Geruch nach schalem Gin. »Hör zu, Herzchen, ich hab' Samstag nachmittag was besseres zu tun, als an der Tür rumzustehen.«
    »Wer zum Teufel ist denn das?« fragte eine verärgerte männliche Stimme von oben. Jane warf einen gelangweilten Blick über die Schulter.
    »Halt den Mund, ja?« brüllte sie zurück, dann wandte sie sich wieder an Emma. »Was ist? Du siehst ja, dass ich beschäftigt bin.«
    Verschwinde, befahl sich Emma verzweifelt. Dreh dich um und mach, dass du wegkommst. Statt dessen hörte sie ihre Stimme, die wie die einer Fremden klang. »Ich möchte mit dir reden. Ich bin Emma.«
    Jane rührte sich nicht vom Fleck. Nur ihre Augen verengten sich und ruhten lange auf Emma. Sie sah eine junge Frau vor sich, groß und

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