Naechtliches Schweigen
schlank, mit einem feinen, blassen Gesicht und üppigen blonden Haaren. Sie sah Brian - dann wieder ihre Tochter. Einen Moment lang überkam sie so etwas wie Bedauern, doch dann verzogen sich ihre Lippen höhnisch.
»Sieh mal einer an. Klein Emma kommt nach Hause zu ihrer Mama. Reden willst du mit mir?« Das hohe, hysterische Lachen veranlasste Emma, sich wie in Erwartung eines Schlages zu ducken. Doch Jane trat nur einen Schritt zurück. »Dann komm mal rein, Herzchen. Wir werden ein kleines Schwätzchen halten.«
Jane stellte bereits Berechnungen an, während sie Emma in ein unordentliches, durch dicke Vorhänge verdunkeltes Wohnzimmer führte. Ein vertrauter Geruch hing in der Luft - nach Schnaps und altem Rauch, der nicht von gewöhnlichen Zigaretten herrührte. Offenbar hatte sich nicht allzuviel geändert.
Janes Gedanken überschlugen sich. Brian würde seine jährlichen Zahlungen bald einstellen, und kein Betteln und kein Drohen würden einen weiteren Penny aus ihm herauspressen. Doch da war das Mädchen. Ihre kleine Emma. Eine Frau musste an ihre Zukunft denken, dachte Jane. Besonders wenn sie einen teuren Geschmack und kostspielige Angewohnheiten hatte.
»Wie wär's mit einem kleinen Drink, zur Feier unseres Wiedersehens?«
»Nein, danke.«
Gleichgültig die Achseln zuckend, bediente Jane sich selbst. »Auf die alten Familienbande!« Sie hob ihr Glas, prostete Emma zu und kicherte hämisch, als diese angelegentlich ihre Hände betrachtete. »Das soll sich einer vorstellen! Da stehst du nach all den Jahren einfach so vor der Tür.« Sie nahm einen tiefen Schluck und ließ sich auf das mit lila Samt bezogene Sofa fallen. »Setz dich, Emmalein, und erzähl mir was von dir.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Emma setzte sich steif auf die äußerste Kante eines Stuhls. »Ich mache in London ein paar Tage Urlaub.«
»Urlaub? Ach ja, Weihnachten.« Jane tippte mit einem abgebrochenen Fingernagel an ihr Glas. »Hast du deiner Mama wenigstens ein Geschenk mitgebracht?«
Wortlos schüttelte Emma den Kopf. Sie fühlte sich mit einem mal wieder wie ein verängstigtes, einsames Kind.
»Das wäre doch wohl das mindeste gewesen, deiner Mutter nach all den Jahren eine kleine Aufmerksamkeit zu überreichen.« Abwinkend lehnte sich Jane zurück. »Mach dir nichts draus. Du warst noch nie eine liebevolle Tochter. Wie erwachsen du geworden bist!« Neidisch musterte sie Emmas Diamantohrringe. »Hast gut für dich gesorgt, wie? Teure Schulen, teure Klamotten, na ja.«
»Ich gehe jetzt zur Uni«, stammelte Emma hilflos. »Und ich habe einen Job.«
»Einen Job? Wozu zum Teufel brauchst du einen Job? Dein Alter stinkt doch vor Geld.«
»Es macht mir Spaß.« Emma hasste ihr unkontrolliertes Stottern. »Ich arbeite gern.«
»Nun, sehr helle warst du nie.« Stirnrunzelnd schenkte Jane sich Gin nach. »Wenn ich bedenke, wie ich all die Jahre geknausert und geknapst habe, mir nichts gönnen konnte, nur damit du ein Hemd auf dem Hintern und 'ne Mahlzeit im Bauch hattest. Und was ist der Dank? Immer nur hast du gejammert und geheult, und dann warst du auf und davon mit deinem Vater, ohne auch nur an deine arme Mutter zu denken. Hast dir ein schönes Leben gemacht, was, Mädchen? Papis kleine Prinzessin. Papis Liebling. Und an mich hast du wohl nie gedacht in all den Jahren?«
»Doch, ich habe an dich gedacht«, murmelte Emma.
Wieder tippte Jane an ihr Glas. Sie brauchte dringend einen Schuss, aber wenn sie den Raum verließe, würde Emma klammheimlich verschwinden, und ihre Chance wäre dahin. »Er hat dich gegen mich aufgehetzt.« Tränen des Selbstmitleids quollen aus ihren Augen. »Mein eigenes Fleisch und Blut! Er wollte dich für sich alleine haben, dabei war ich es, die die Schmerzen der Geburt ertragen und dich alleine großziehen musste. Ich hätte dich nicht zur Welt bringen müssen«, fügte sie bösartig hinzu. »Sogar damals konnte man das regeln, wenn man die richtigen Leute kannte.«
Emmas Augen wurden dunkel. Sie sah ihrer Mutter fest ins Gesicht. »Und warum hast du das nicht getan?«
Janes Hände begannen zu flattern. Gin war ein armseliger Ersatz für Drogen. Doch sie war zu schlau, um zuzugeben, dass die Angst, einem Pfuscher in die Hände zu fallen, stärker gewesen war als die Angst vor der Geburt.
»Weil ich deinen Vater geliebt habe.« Die Worte klangen ehrlich, glaubte Jane doch beinah selbst dran. »Ich habe ihn immer geliebt. Du weißt ja, wir sind zusammen aufgewachsen. Und er hat mich
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