Naerrisches Prag
Eindruck er auf Sie gemacht hat«, beharrte einmal eine Journalistin, von meiner Erklärung unbeeindruckt, auf ihrem geplanten Konzept.
Ich habe ihn also nicht gekannt, den großen Dichter, kann aber nicht umhin, ihm in Prag stets von neuem zu begegnen. Manchmal ganz zufällig, manchmal, dazu bekenne ich mich, suche ich solche Begegnungen bewußt.
Eines Tages ergab es sich, daß ich von einem tschechischen Fernsehteam aufgefordert wurde, etwas über die vielseitige interessante Persönlichkeit des Prager Künstlers, Schriftstellers, Rechtsanwalts und Diplomaten Adolf Hoffmeister zu erzählen, den ich wirklich recht gut gekannt habe. Für unser Gespräch wählte der Regisseur das Café Arco, in dem, wie allgemein bekannt, tschechisch und deutsch schreibende Prager Schriftsteller bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges ihre Zusammenkünfte hatten, bei denen auch Hoffmeister oft anzutreffen war.
»Das Arco gibt es also wieder?« freute ich mich, von diesem Vorschlag sehr angetan.
»Ja. Ich war auch noch nicht dort, es wurde nach längerer Rekonstruktion vor kurzem erst neu eröffnet«, lautete die Antwort des Regisseurs.
Neugierig und gleichzeitig mit einem ein klein wenig sonderbaren Gefühl betrat ich an dem vereinbarten Drehtag den Vorraum des Cafés. Hier also pflegten sie zusammenzukommen, die tschechischen und deutschen Autoren von Prag. Das renovierte Kaffeehaus ist verhältnismäßig stilgerecht eingerichtet, mit braunen Möbeln und dunkelblauen Vorhängen vor den Straßenfenstern. An den kleinen Tischen und auf den Holzstühlen konnte ich mir die debattierenden Meister ganz gut vorstellen.
Die Fernsehleute hatten einen Ecktisch gewählt, es war neun Uhr morgens, und das ganze Lokal war noch leer. Wir waren die einzigen Gäste. Aber als die Zeit ein wenig vorrückte, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß das Personal begann, die Tische mit weißen Tischtüchern zu bedecken, was in Prager Cafés eigentlich nicht üblich ist. Einem Kollegen vom Fernsehen fiel mein erstauntes Gesicht auf, und er sagte: »Hier gibt es jetzt eine Betriebskantine. Was Sie sehen, sind die Vorbereitungen für die Mittagsgäste.«
»Eine Betriebskantine im Arco? Für wen?«
»Für Angestellte der Polizei.«
Ich fiel beinahe vom Stuhl.
»Für die Polizei? Im einstigen Stammcafé von Kafka?«
Alle lachten, fanden es genauso eigenartig. Inzwischen waren wir mit unserer Arbeit fertig, aber ich beschloß, noch dazubleiben, wollte die neuen Stammgäste sehen.
Die kamen auch pünktlich um elf Uhr. Ich kann bisheute nicht verstehen, warum Mittagessen in Betriebskantinen für Büroangestellte, die ja ihre Arbeit nicht in den frühesten Morgenstunden beginnen, schon am Vormittag serviert wird. Aber so ist das nun einmal. Der Raum füllte sich zur gegebenen Stunde mit adrett gekleideten jüngeren Frauen und kräftigen Männern, nur da und dort zeigte sich eine Uniform. Ich lauschte unverschämt den Tischgesprächen und merkte, daß die Kostgänger einander mit ihren Dienstgraden ansprachen. Herr Leutnant, Herr Kommandant, Frau Untersuchungsreferentin. Ansonsten war es das übliche Pausengeschwätz.
Als ich meinen Tisch in der Ecke verließ und dem Ausgang zustrebte, hoben alle wie auf ein Kommando den Kopf und blickten mir nach. Wieso war diese Person hier? Die ist doch nicht von der Polizei.
Nein, ich war in der Tat nicht von der Polizei, und der einstige, inzwischen weltberühmte Stammgast dieses Lokals, aber auch etliche seiner damals hier verkehrenden Freunde, sie alle hätten gleich mir gestaunt und vielleicht auch gelächelt bei der Feststellung, daß eine Polizei ausgerechnet hier ihre Betriebskantine eingerichtet hat.
Als ich den Vorraum durchquerte, bemerkte ich, was ich am Morgen übersehen hatte. Eine kleine Vitrine zeigte hinter Glas Kafkas Werke in verschiedenen Sprachen. Für wen wohl, überlegte ich. Die Mittagsgäste waren in Eile, hatten offenbar dringende Verpflichtungen und Sorgen, wußten wahrscheinlich nicht einmal ...
Das Wesen, das gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen pflegt, zu dieser Stunde saß es hier an keinem.Ein in Prag schon längere Zeit wirkender Korrespondent einer ausländischen Presseagentur erzählte mir, er habe eines Tages mit einem zu Besuch in unserer Stadt weilenden Kollegen dringend ein Telefongespräch erledigen müssen und, wie das vorzukommen pflegt, gerade in diesem Augenblick kein Handy bei sich gehabt. Er blickte sich suchend um und stellte fest, daß sie direkt vor dem Café
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