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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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wurden offenbar schon vor längerer Zeit umgesiedelt und können von Glück reden. Ob Mercedes von den Fluten betroffen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber der einstigen Remise, steht jetzt ein Neubau der Hotelkette Ibis. Auf dem Gehsteig davor bot eine Tafel Zimmer pro Nacht für «nur« 2 490,– tschechische Kronen an, auch Räumlichkeiten für Konferenzen, Familienfeste etc. Über dem Hoteleingang flatterten Fahnen aller Herren Länder. Das freute mich: Mein Karlín hat sich offensichtlich von der Katastrophe erholt und lebt wieder. Sogar international.
    Die Konditorei Hanka mit ihren köstlichen Schlagsahneröllchen, ein Paradies meiner Kindheit, gibt es natürlich nicht mehr, ebensowenig wie den Kolonialwarenladen Šíma. Wie und wann die elterliche Eisenwarenhandlung ihr endgültiges Ende fand, habe ich nie erfahren. Mein Geburtshaus, in dem sie sich befand, gehörte, als wir dort lebten, einer Sodawasser- und Kleingebäck-Fabrik. Die Firma hieß Dr. F. Zátka A. G. Nun stand ich vor dem Gebäude.
    Nein, ich stand nicht davor. Ich stand vor einem Meteor Office Building mit einer funkelnagelneuen, blitzsauberen zitronengelben Fassade, mit einer modernen, mit Glas oder irgendeinem transparenten Kunststoff verkleideten Einfahrt. Alles sachlich, eingestellt auf business ohne Zeitvergeudung.
    Hier sind meine Eltern ein- und ausgegangen? Hier hatuns die Großmama besucht und meine ältere Schwester ihre Verlobung gefeiert? Von hier aus habe ich meine kleine Schwester zum erstenmal in die Schule geführt? Hier ...
    Hier stand noch vor kurzem ein grausig überflutetes altes Haus. Die Firma Meteor hat es bewundernswert schnell instand gesetzt. Also was?
    Also glaube mir, Geburtshaus, daß ich dir alles Gute wünsche, eine in jeder Hinsicht trockene Existenz, tunlichst ohne jegliche Art schmutziger Wäsche. Das bist du mir nämlich schuldig, Meteor, denn ich bin hier im zweiten Stockwerk auf die Welt gekommen.
    Wo steckt wohl mein Getreuer, der gleichzeitig an drei Tischen sitzt? Gerade jetzt sollte er sich zeigen, denn ich möchte ihn ersuchen, diesen Meteor nicht aus den Augen zu lassen. Ein richtiger Prager Geist würde ihm, davon bin ich überzeugt, durchaus zugute kommen.
    Es fiel mir auf, wie wenigen Menschen ich diesmal in Karolinenthal auf der Straße begegnete. Einigen älteren Männern und Frauen, die mit Einkaufstaschen am Arm ängstlich zwischen Schotterhaufen, überall gestapelten glänzenden Kupferrohren, vielfarbigem Schlauchzeug, aufgeworfenen oder frisch zugeschütteten Löchern balancierten. Dazwischen eilten verschiedene junge Personen, die hier gleichfalls zu Fuß gehen mußten und nicht wie gewohnt hinter dem Lenkrad eines Autos sitzen konnten. Gab es wirklich nur ein paar Straßen weiter den alltäglichen Großstadtrummel, der das Zwischenspiel der Hochwasserkatastrophe erfolgreich zu verdrängen verstand? Alle Kellerluken in der Sokolovská, auch die Fensterin den Erdgeschossen, sind gründlich vergittert, die meisten, wie man erkennen konnte, wohl erst in letzter Zeit. Kaum war die unmittelbare Ertrinkungsgefahr vorbei, fanden sich Menschen, die in den leerstehenden Häusern und offenstehenden Läden schamlos plünderten. Selbst die Kirche auf dem Karlíner Stadtplatz mußte mit völlig schmucklosem, rein zweckmäßigem wuchtigem Gitterwerk versehen werden.
    Das nächste Ziel meiner ungewöhnlichen Stadtbesichtigung war die kleine Synagoge Karolinenthals. Als ich vor Jahren nach meiner Heimkehr aus dem Exil, schließlich nach meiner Entlassung aus einem Prager Gefängnis und meiner endgültigen Rückkehr in die Heimatstadt – wieviel dramatisches Geschehen in einem einzigen Satz! – zum erstenmal etwa im Jahr 1960 Karlín besuchte, war in der Synagoge der Ökumenische Rat von Prag untergebracht. Warum auch nicht, dachte ich bei dieser Feststellung, jüdische Bürger gibt es ja kaum noch in dem Stadtviertel, und so dient das bescheidene Haus einer anderen Glaubensgemeinschaft. Als ich nun in die kurze Gasse einbog, erinnerte ich mich, bei meinem ersten Besuch in dem kleinen Vorhof von einem schwarz-weißen Kätzchen begrüßt worden zu sein, das schnurrend um meine Füße strich. Auch ein farbenfrohes bescheidenes Blumenbeet schmückte den winzigen Hof. Meine ganze Erinnerung von damals war irgendwie freundlich, beruhigend, beinahe heiter. Auch ein bißchen überraschend an so einem Ort. Was würde ich diesmal vorfinden?
    Das alte Gebäude

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