Naerrisches Prag
respektvoll gegrüßt wurden.
Neben mir war ein Platz frei.
»Madame«, sprach mich mit einemmal ein älterer Reisegenosse dunkler Hautfarbe, westlich gekleidet, aber mit einem kunstvoll geflochtenen grauen Zöpfchen auf dem Kopf, französisch an und ließ sich auf dem freien Platz nieder. »Fliegen Sie nach Dakar oder noch weiter?«
»Nach Dakar.«
»Ah, da wird Sie mein Projekt interessieren!« Und er teilte mir ausschweifend mit, in seinem Heimatdorf im Senegal eine Schule für die Jüngsten zu unterhalten, wofür er natürlich viel Geld benötige ...
»Pardon, Madame«, unterbrach er mit einemmal seine Ausführungen, »woher kommen Sie? Aus Frankreich?«
»Nein, aus Prag, Tschechische Republik.«
»Parfait! So ein riesiges und reiches Land! Da kann ich bestimmt mit Ihrer Großzügigkeit und Ihrem Verständnis rechnen. Ich benötige nämlich dringend ...«
»Mit meinem Verständnis gewiß«, unterbrach ich ihn. »Das ist leider aber auch alles.«
Er verzog sich grußlos und enttäuscht. Das war übrigens das einzige Mal während der ganzen Reise, daß ich mit einem derartigen Versuch belästigt wurde.
Als ich auf dem kleinen Bildschirm vor meinen Augen die Flugstrecke verfolgte und feststellen konnte, daß gerade tief unter uns Casablanca lag, wo ich während meiner Exilzeit ein halbes Jahr einen zwar unfreiwilligen, aber dennoch unvergeßlichen Aufenthalt verlebte, wurde ich richtig nostalgisch. Casablanca ... Aber jetzt war ich nach Dakar unterwegs. Wie schön, ein weiteres Stückchen Welt erleben zu dürfen!
Der Flug verlief reibungslos, ich kam gut an und wurde im chaotischen Durcheinander auf dem Flughafen in Dakar von einem netten und, wie sich im Laufe der nächsten Tage herausstellte, auch sehr tüchtigen jungen Mitarbeiter unserer Botschaft abgeholt. Mein afrikanisches Abenteuer nahm einen vielversprechenden Anfang.
Die Botschaft der Tschechischen Republik, in der ich untergebracht war, steht im Diplomatenviertel der senegalesischen Hauptstadt. Alles ringsum ist sauber, die Gärten sind gut gepflegt, die Objekte ständig bewacht, kaum jemand zeigt sich auf der Straße.
Durch solch ein elegantes Stadtviertel wurde ich vor Jahren in Casablanca als elender europäischer Flüchtling mit vielen Menschen gleicher Art verfrachtet, sah nur, was an den Fenstern des Polizeibusses vorbeiflitzte. Ein märchenhaftes Stück Welt, unerreichbar, was freilich bei Märchen nicht weiter verblüffend ist.
Diesmal war ich jedoch ein respektabler Gast und mußte mich innerlich erst einmal auf diesen für mich grundlegenden Umschwung einstellen. Das gelang mir ganz mühelos, als mich mein Betreuer am nächsten Morgen, ehe meine offiziellen Verpflichtungen einsetzten, an der Meeresküste entlangfuhr. Als ich nach langer Unterbrechung wieder einmal die salzige Luft einatmen konnte, vor meinen Augen die unendliche Weite des Ozeans, das ewige Auf und Ab blaugrüner Wellen mit schäumenden Gischtkämmen, die zügellose Ungebundenheit der Natur, deren Bestandteil wir kleinen Menschen sind: In dieser Stunde bedrängte mich nicht, was es im Laufe der Jahre alles gegeben hat, und ich fürchtete auch nicht, was es noch alles geben könnte. Vor mir war das Meer und erweckte in mir einen Augenblick ungetrübten Glücks.
Das Goethe-Institut, in dem ich am nächsten Tag die Ausstellung der Prager jüdischen Literatur eröffnen und meinen ersten Auftritt haben sollte, befindet sich im Zentrum der Stadt, in einem in üblicher Weise lärmenden, übervollen Straßengewirr. Der mittelgroße Vortragssaal des Instituts füllte sich zusehends. An den Wänden hingen großformatige Bildtafeln mit den Porträts und kommentierten Buchtiteln der vorzustellenden Autoren.
Ich betrachtete die hereinströmenden Menschen weißer und schwarzer Hautfarbe und wurde unruhig. Wie kann ich diesen Afrikanern verständlich machen, daß ich aus einem kleinen Land in Europa komme, nicht mehr als einem Pünktchen auf der Landkarte. Es heißt Tschechische Republik, ich soll jedoch deutsch zu ihnen sprechen und sie auf die Literatur jüdischer Bürger dieses fernen Staates hinweisen.
Da habe ich mir ja wieder einmal etwas ganz Besonderes eingebrockt!
»Na, Egonek«, rief ich in dieser Lage im Geist meinen guten alten Freund, Prager und Versailler Nachbarn und Exilkollegen in Mexiko, Egon Erwin Kisch an, »daß ich dir eines Tages gerade hier begegnen werde, hätten wir uns kaum träumen lassen, was? Für dich, den rasenden Reporter und Weltenbummler mit
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