Naerrisches Prag
Arco standen.
»Wir haben Glück«, meinte er zufrieden. »Hier war in den dreißiger Jahren das berühmte Stelldichein der tschechischen und deutschen Schriftsteller von Prag. Da drin muß es ja wohl ein Telefon geben.«
Die beiden eilten zu dem Eingang.
Und richtig! In dem Vorraum, den sie betraten, befand sich an der Wand ein Telefonautomat. Sie lasen aufmerksam die Gebrauchsanweisung, steckten die vorgeschriebene Anzahl von Münzen in den dafür bestimmten Metallspalt, der schluckte sie auch – und nichts geschah. Also schlugen sie auf das Ding ein, und als es darin zu rasseln begann, wiederholten sie ihren Versuch, opferten einige weitere Münzen. Ein Erfolg blieb abermals aus.
Während der ganzen Zeit beobachtete die beiden bei ihrem Unterfangen eine Frau, die in dem Vorraum den Dienst versah. Nun kam sie näher.
»Sie wollen telefonieren?« erkundigte sie sich völlig überflüssig, denn sie sah ja, was da vor sich ging. »Haben Sie die richtige Anzahl von Münzen hineingesteckt? Probieren Sie es noch einmal.«
Der Apparat bekam eine weitere Zuteilung, schluckte auch diese, ansonsten geschah wiederum nichts.
Nun trommelte auch die Frau ein bißchen an dem Kasten herum, ließ es nach einer Weile sein, blickte die beidenjungen Männer freundlich an und erklärte mit einem treuherzigen Lächeln: »Das Ding funktioniert schon lange nicht. Da ist nichts zu machen.«
»Aber Sie haben doch selbst gesagt«, staunte der Prager Korrespondent, »und Sie haben ja auch selbst versucht ...«
»Nichts zu machen, hier bei uns im Arco«, wiederholte sie freundlich. »Das Ding funktioniert schon lange nicht, und wann es jemand reparieren kommt, weiß niemand.«
»Mein Kollege war richtig beeindruckt«, erzählte mir der bei uns schon längere Zeit wirkende Auslandskorrespondent, »er freute sich geradezu, daß ihm so etwas in Prag passiert ist und noch dazu im einstigen Café Franz Kafkas.«
Als gebürtige Pragerin, und nun auch noch zu meiner aufrichtigen Freude als Ehrenbürgerin dieser schönen, launenhaften und unberechenbaren, zu sich selbst jedoch immer wiederkehrenden Stadt, weiß ich mit Sicherheit, daß ich von ihr nie ganz loskommen kann, daß meine oft überraschenden, unvorhergesehenen guten und schlimmen Erlebnisse auf undefinierbare Weise stets irgendwie mit meiner Herkunft aus Prag einen Zusammenhang haben. Mit seinen verschiedenartigen Elementen, Einflüssen, Farben und Klängen, mit den Licht- und Schattenseiten meiner Verwurzelung gerade hier. Mit dem beruhigenden Bewußtsein meiner Zugehörigkeit und festen Verankerung in Prag. Wohin auch immer es mich im Laufe meines langen Lebens verschlagen hat und, wer weiß, vielleicht noch verwehen kann – überall nehme ich mit meinen Prager Augen wahr, nehme mit meinem Prager Verstand und Herz auf.
Dem ist wirklich so. Zum letzten Mal, nun, sagen wir vorsichtshalber zum vorletzten Mal, habe ich mich davon weitab in Afrika, in der Republik Senegal, überzeugen können.
Als mich am Anfang des Jahres 2003 eine Einladung der tschechischen Botschaft in Dakar erreichte, mit dem Vorschlag, ich solle in der senegalesischen Hauptstadt eine Ausstellung der jüdischen Literatur von Prag eröffnen und bei dieser Gelegenheit im dortigen Goethe-Institut und an der Universität aus meinen Büchern lesen, wollte ich zuerst meinen Augen nicht trauen. Gibt es so etwas überhaupt? Und kann ich in meinem beträchtlich vorgerückten Alter eine so abenteuerliche Reise und kaum weniger abenteuerliche Verpflichtung überhaupt noch wagen? Eine so seltsame Aufgabe verantwortlich übernehmen?
Meine Tochter war sehr beunruhigt, auch viele meiner Freunde rieten mir energisch ab. »Du willst wirklich nach Afrika fliegen? In Senegal gibt es das Gelbfieber. Hier ist jetzt Winter, dort ist es heiß. In deinem Alter ...« Man hielt mich im allgemeinen für ein bißchen verrückt. Dem konnte ich nicht vollauf widersprechen, sagte dennoch zu. Und begann mich zu freuen.
Als dann eines Tages ein Flugzeug mit mir an Bord in Brüssel zum Direktflug nach Dakar abhob, hatte ich nach langer Zeit wieder einmal das kribbelige Gefühl, an der Schwelle eines kostbaren Erlebnisses zu stehen, und versprach mir selbst, alles werde gut ausgehen.
Neben den meisten weißen Passagieren bewegten sich auch einige würdevolle Gestalten dunkler Hautfarbe in langen wallenden kaffeebraunen Gewändern durch den gedrängt vollen Raum des Flugzeuges. Ich beobachtete,daß sie von zahlreichen Mitreisenden
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