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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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steht weiterhin da, anscheinend sogar unversehrt, mit einem Schild am Eingangstor, dem ich keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Ich war zufrieden, daß es sich aufstoßen ließ, und betrat beinaheungeduldig den bescheidenen Hof. Aber – kein Kätzchen, keine Blümchen. Ich stand in einem kahlen, nicht sehr sauberen Viereck. Nun ja, nach dem Hochwasser! Schon wollte ich umkehren, da bemerkte ich an der verschlossenen rotbraunen Tür der Synagoge eine Tafel mit einer verblüffenden Bekanntmachung: »Auslieferung der Urnen jeden Donnerstag.« Urnen? Über religiöse Gepflogenheiten, Rituale und Gesetze weiß ich nur sehr mäßig Bescheid, aber diese Aufschrift, so viel wußte ich doch, konnte mit einer Synagoge kaum etwas gemein haben.
    Verwundert kehrte ich auf die Straße zurück. Und nun las ich, auch jetzt verblüfft, was auf der Tafel an dem Eingangstor angeschrieben stand: »Korean Church« war da zu lesen und auf einer zweiten Zeile in tschechischer Sprache: »Vereinigung für gesellschaftliche Veränderungen in Afrika, Asien, Lateinamerika«.
    Man zeige mir eine andere Stadt, die mit stiller Selbstverständlichkeit solche Überraschungen hervorzaubern kann. Ich weiß natürlich, daß Gotteshäuser im Laufe der Geschichte wiederholt gestürmt, geplündert, niedergebrannt und vernichtet werden. Mitunter werden sie auch zu geradezu absurden, profanen Zwecken mißbraucht. Als Warenlager kaum noch verwendbarer Lebensmittel oder als Nachtasyl für Obdachlose, was immerhin ein wenig annehmbarer ist. Man muß da leider nicht allzuweit zurückblicken, kann getrost in unserem Alltag verweilen. Allein eine derartige Umkrempelung, wie ich sie nun vor mir sah, scheint mir dennoch bemerkenswert zu sein. Ich habe keine Ahnung, wie viele Koreaner in Prag diese Gebetsstätte benötigen und aufsuchen. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie man von der Karolinenthaler Synagoge aus gesellschaftliche Veränderungen in Afrika,Asien und Lateinamerika erfolgreich in die Wege leiten kann. Sollte es freilich gelingen, könnte mein Karlín zufrieden sein, einem solchen, hoffentlich eindeutig menschenfreundlichen Vorgehen Gastrecht eingeräumt zu haben. Das alles ist freilich ein bißchen närrisch, in Prag allerdings, wenn man versucht, diese Stadt richtig zu verstehen, nicht völlig überraschend.
    Gegenüber der in der Synagoge untergekommenen Korean Church steht das einladende Gebäude eines Bonsai Hotels und Restaurants. Das schien mir nun nicht weiter auffallend, eher ganz natürlich zu sein.
    Nach meinem langen, keinesfalls eintönigen Weg über die zahlreichen Höcker und Löcher, durch den zudringlichen weißlichen Staubschleier, gegen den man sich nicht wehren konnte, begann ich mich nach einem Verkehrsmittel umzusehen. Dafür mußte ich allerdings noch ein beträchtliches Stück weiterlaufen. In der langen Straße mit nur wenigen erneut eröffneten Läden und etwas mehr Gaststätten kam ich immer wieder an großen klaffenden Lücken vorbei, wo noch vor kurzem Häuser gestanden hatten. Sie wurden vom Wasser gnadenlos vernichtet. Eine solche ziemlich ausgedehnte Straßenwunde fesselte mich besonders. Denn an ihrem unteren Ende stand das elegante Gebäude eines Hilton Hotels. Als es hier in der Nähe des lieblichen Moldauflusses entworfen und projektiert wurde, konnte niemand ahnen, daß eines Tages die Zimmer einer ganzen Seitenfront einen einzigartigen Ausblick bieten würden. Auf Stümpfe und Überreste eingestürzter oder niedergerissener Häuser, auf eine Art Schlachtfeld zwischen (»... wehe, wenn sie losgelassen ...«) den Kräften von Natur und Mensch. Etwas so Seltenes könnte unter Umständen vielleicht sogar einenbesonderen Zuschlag zum üblichen Zimmerpreis rechtfertigen. Verrückt? Aber ich bitte Sie, in Prag ...
    Seit ich meinen Lesern das »Traumcafé einer Pragerin« vorstellte, in dem ich einige namhafte Schriftsteller und Künstler aus ihrem Jenseits wachrief, habe ich eine gewisse Scheu, Franz Kafka zu erwähnen, der selbstverständlich zu den Gästen meines überirdischen Prager Kaffeehauses zählt. Ich werde nämlich immer wieder gefragt oder lese manchmal in einer Zeitung, wie gut ich den Dichter gekannt habe, und obwohl ich gewissenhaft und geduldig stets von neuem betone, daß ich acht Jahre alt war, als Kafka starb, wird dieser alles über unsere niemals stattgefundene Bekanntschaft besagende Umstand oft nicht zur Kenntnis genommen. »Nun gut. Aber vielleicht können Sie mir sagen, welchen

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