Naerrisches Prag
dem jetzt auch schon kosmischen Überblick, mag das nicht so verwunderlich sein, aber ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Du hängst da, mit Verlaub, in guter Gesellschaft und natürlich mit einer Zigarette im Mundwinkel ganz zufrieden an der Wand, aber ich muß den Menschen hier über dich und deine werten Prager Kollegen etwas erzählen, und niemand steht mir bei dieser heiklen Aufgabe bei.
Warum setzt du die Brille auf und ziehst die Stirn in Falten? Etwas gefällt dir nicht? Hab keine Angst, ich werde schon richtigstellen, daß du deine Werke in den letzten Lebensjahren nicht tschechisch geschrieben hast, wie hier in dem Kapitel über dich zu meinem Erstaunen zu lesen ist, sondern daß deine Bücher, als du nach Kriegsende schließlich heimkehren konntest, nun natürlich in die tschechische Landessprache übersetzt wurden. Auch einen weiteren Irrtum, der dich schon in Mexiko geärgert hat, werde ich bereinigen. Gustav Meyrink, der von dir hochgeschätzte Autor des Romans ›Golem‹ über das gespenstische Wunderwesen, das der sagenhafte Rabbi Löw erdacht haben soll, war kein Jude, wie oft und wiederum auch hier behauptet wird. Eigentlich hätte er in diese Ausstellung jüdischer Autoren gar nicht eingereiht werden sollen. Aber, Egonek, und das flüstere ich nur dir zu: Es ist doch großartig, daß in Dakar eine solche Prager Exhibition überhaupt stattfindet. Oder glaubst du, daß im Zusammenhang mit unserer Stadt, zu deren Ratsmitglied du ja im Krisenjahr 1938 gewählt wurdest, daß also eine solche Ausstellung über ein besonderes Kapitel der Literatur von Prag selbst weitab in Afrika nicht weiter erstaunlich ist?«
Das zu meiner Lesung nach der glücklich überstandenen Eröffnung der Ausstellung überraschend zahlreich erschienene Publikum war vielschichtig. Weiße und schwarze Menschen, auffallend viele junge. Die waren zumeist Germanistikstudenten an der hiesigen Universität. Eine Gruppe von Mädchen hatte für diese Veranstaltung Goethes »Erlkönig« einstudiert und trug die düstere Dichtung nicht nur in respektabel gutem Deutsch vor,sondern danach auch noch sehr temperamentvoll in einer Übersetzung in die senegalesische Stammessprache Wolof. Ich lauschte, staunte – warum gerade dieses traurige Poem? –, und es tat mir ein bißchen leid, ein solches einzigartiges Erlebnis nur allein zu genießen. Jetzt hätte ich einen lebendigen Prager Kisch gern an meiner Seite gehabt.
Der junge Diplomat, der sich mir während meines ganzen Aufenthaltes in Dakar widmete, machte mich auch mit seiner Gattin und seinen beiden kleinen Söhnen bekannt. Der größere Junge, noch keine zehn Jahre alt, war blond und helläugig, das jüngere lebenssprühende Kerlchen hatte eine schöne bronzefarbene Haut, Augen wie zwei schwarze Kirschen, ein mit krausem dunklem Haar bedecktes Köpfchen. So sieht kein böhmischer Junge aus. Die Umgangssprache in der Familie war Tschechisch. Als ich bereits zwei Tage da war und wir uns schon angefreundet hatten, vertraute mir mein aufmerksamer Begleiter an, der lebhafte Kleine sei von ihm und seiner Frau im Alter von nur elf Monaten in Prag adoptiert worden. Aus einem Heim für Kleinkinder. Von seiner Mutter wisse man wenig, von seinem Vater so gut wie nichts. Da war ich ein wenig stolz auf meine jungen Landsleute, das sympathische Ehepaar. Die beiden meisterten nicht nur sprachgewandt ihre diplomatischen Verpflichtungen – vor dem Senegal z. B. an der Elfenbeinküste –, sie haben überdies still und selbstverständlich einen kleinen Menschen seinem leeren Nichts entrissen.
Ich war in Dakar, so fürchte ich, ein etwas ausgefallener Gast, hatte nicht nur die üblichen touristischen Interessen, sondern meldete noch weitere, eher ungewöhnliche an. Mein Betreuer hatte auch für meine besonderen WünscheVerständnis. Er fuhr und lief mit mir auf meine Bitte wiederholt an der unsagbar schönen Ozeanküste entlang, an der ich mich nicht satt sehen konnte. Wir machten auch einen Abstecher in die Touristensphäre, fuhren mit dem Aufzug in die oberste Etage eines ganz feinen Hotels, um den großartigen Ausblick von dort bis ... ja bis wohin? ... zu genießen.
»Auf dieser geographischen Breite, am anderen Ende des afrikanischen Kontinents, liegt Ägypten«, erklärte mir mein Begleiter und wies in die schimmernde, sonnendurchflutete Weite.
»Und der Irak?«
»Ja, auch der Irak.«
Zu jenem Zeitpunkt war der Krieg dort noch nicht ausgebrochen, nur seine unmittelbare Drohung
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