Naerrisches Prag
liebevoll genannt wird, die Okkupation im ganzen unversehrt überlebt hatte. Der Fleischerladen in »unserem« Haus stand sogar noch offen. Ich trat ein.
»Was darf es sein?« wurde ich höflich gefragt.
Mein Gott, als ob nichts geschehen wäre! »Kann ich von dem schönen Stück da oben ein paar Scheiben haben?«
»Von den Steaks? So viel Sie wollen, sechs, acht?«
Ich traute meinen Ohren nicht, schöpfte Mut und sagte: »Zwölf.«
»Also ein Dutzend, bitte sehr.«
»Was ist los?« wollte ich wissen. »Ausverkauf? Sie müssen schließen?«
»Habe noch keine solche Anweisung, die kann aber jeden Augenblick kommen. Auf keinen Fall will ich für die Okkupanten etwas im Laden haben.« Er reichte mir das ansehnliche Paket. »Genießen Sie das Fleisch womöglich in Ruhe. Ist garantiert frisch.«
»Danke. Was bin ich schuldig?«
Der Mann schaute mir freundlich ins Gesicht, seufzte ein wenig und sagte schließlich:
»Geben Sie mir, was Sie wollen. Ich will ja, daß tunlichst alles weg ist. Die Eindringlinge sollen bei mir nichts vorfinden.«
Auf dem Heimweg überlegte ich, wer von unseren Freunden von dieser überraschenden Zuteilung etwas abbekommen sollte.
Mein Mann staunte. »Die meisten Läden sind doch zu. Woher hast du diese Wunderration?«
Ein bißchen stolz antwortete ich: »Aus der Melantriška. Woher denn sonst?«
Ich weiß, ich weiß, mein Rätselhaftes an den drei Tischen, die Melantrichgasse und Egon Erwin Kisch, das ist einfach nicht zu trennen. Er tritt ja auch in meinem kunterbunten Erzählen immer wieder zwischen die Zeilen. Es begann damit, daß er zuerst hier mein Nachbar war. Nach der Rückkehr aus dem langen Exil kam er auch wieder in unsere Gasse zurück, ließ sich in seinem Geburtshaus jedoch nicht mehr nieder, starb an einem anderen Ende der Stadt. Ich aber kann hier immer noch durchlaufen, oder genauer gesagt, jetzt werde ich von einer beängstigenden Touristenmenge meistens einfach durchgeschoben, habe danach stets neue und neuartige Melantrich-Erlebnisse.
Wenn ich jemandem zeigen will, wo ich in dieser Gasse gehaust habe, beginnt das mit meiner Aufforderung: »Schau bitte hinüber zu dem allerschmalsten Haus, mit nur drei Fenstern in den Stockwerken an der Vorderfront. Dort war es.« Und wenn ich auch noch mein Mansardenfenster zeigen will, muß jeder ordentlich seinen Hals recken, um bis hinauf unter das Dach zu sehen.
Ich hatte seit langem den Wunsch, das Haus einmal zubetreten und womöglich einen Blick in »meine« Mansarde zu werfen. In Mexiko ist es mir bei einer Rückkehr nach vielen Jahren gelungen, unser dortiges Wohnhaus in der Calle Irapuato aufzusuchen. In meinem heimatlichen Prag müßte das doch, so glaubte ich, geradezu selbstverständlich sein.
Die Fleischerei neben dem Hauseingang gibt es nicht mehr. Welches Schicksal den freundlichen Mann hinter dem Ladentisch ereilt hat, ist mir nicht bekannt. In Nr. 7 werden jetzt kostbare Antiquitäten und stilvolle Schmuckstücke teuer verkauft. So schön sie auch sind – sie bilden nicht den Gegenstand meines Interesses. Das gilt der Mansarde unter dem Dach.
Die schmale Haustür, die meistens offenstand, ist jetzt immer fest verschlossen. Ich rüttelte wiederholt vergeblich an ihr. Einmal entschloß ich mich nach längerem Zögern zu einem weiteren Versuch. Mit ein bißchen Herzklopfen drückte ich auf einen beliebigen Klingelknopf, trat ein wenig zurück, damit man mich eventuell aus einem Fenster sehen konnte. Aber nichts geschah. Ich klingelte ein zweites Mal. Kein Fenster ging auf, niemand ließ sich sehen oder hören. Dieser Versuch ging fehl.
Ich gab meinen Wunsch allerdings nicht auf. Wann immer mich mein Weg durch diese Gasse führte, nahm ich erst einmal das Kisch-Haus in Augenschein, nickte an seiner Ecke der Bronzeplakette mit Egons Profil zu, und betrachtete dann »mein« Haus. Es mußte sich doch eine Gelegenheit bieten ...
Eines Tages war es dann wirklich soweit. Beim Näherkommen sah ich vor der geöffneten Haustür von Nr. 7 zwei Frauen in angeregter Unterhaltung.
»Guten Tag«, sagte ich und blieb stehen.
Keine Antwort. Der Blick, mit dem mich die beiden maßen, war eindeutig abweisend.
»Verzeihen Sie die Störung«, fuhr ich unbeirrt fort, »ich habe nämlich vor dem Krieg in diesem Haus gewohnt. In einer Mansarde gleich unter dem Dach ...«
»Unter dem Dach befindet sich die Waschküche.«
Das war nicht abweisend, das war schon eher ein Schlußpunkt.
»Aha. Aber vor dem Krieg ...«
»Dort war
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