Naerrisches Prag
wurde beschlossen, jetzt schnell irgendwo ein Gläschen zu heben.
»Auf Ihre Melantrichgasse«, sagte einer der drei, als wir in der nächsten Gaststätte gelandet waren.
Ich nahm einen Schluck und spülte damit das Närrische dieser Episode hinunter.
Aber so einfach gibt mich die Melantrichgasse nicht frei. Mein väterlicher Freund und wiederholter Nachbar (Prag, Versailles, Mexiko), der von mir verläßlich in meinem »Traumcafé« hoch über unserer gemeinsamen Heimatstadt untergebrachte Egon Erwin Kisch, würde es mir bestimmt übelnehmen, wenn ich nicht jedesmal beim Vorbeigehen einen Blick auf sein Geburtshaus werfen würde.
Keine Angst, Egonek, ich weiß doch, was sich gehört. Und ich weiß inzwischen sogar mehr, als du trotz deiner üppigen Phantasie voraussehen konntest. Für dich war die Altstadt sagenumwoben, aufregend, weil geheimnisvoll. Du wolltest ja auch partout den Golem ausfindig machen, bist deshalb in die unterirdischen Stollen unter dem Altstädter Rathaus eingedrungen, hast dort mit deinen Händen unter den losen Steinen gewühlt. Es wäre doch toll gewesen, zumindest ein winziges Stückchen des Lehmriesen zu finden. Etwa einen Finger, eine Zehe odergar eine Spur der Umrandung seines Mundes, in den Rabbi Jehuda Löw ben Bezalel die nur ihm bekannte Zauberformel SCHEM einlegte und den Koloß damit zu kurzem Leben erweckte. Du hast ihn nicht gefunden, nur geahnt in den Gassen der Altstadt, wo jetzt ein ganz anderer Rabbiner die höchste Würde bekleidet. Kein vom Knabenalter an zum Talmudgelehrten bestimmter Jude, ein Mann, der ein begabter und anerkannter Schriftsteller war, ehe er in den siebziger und achtziger Jahren des vor kurzem vergangenen Jahrhunderts als Emigrant einen anderen Lebensweg einschlug, und der Karol Sidon heißt. Wie schade, daß ihr einander niemals begegnen konntet. Du hättest ihm etwas aus deinen »Geschichten aus den sieben Ghettos« erzählen können oder einen Witz aus dem reichen Vorrat, er wiederum eine Episode aus seinem verwunderlichen Emigrantendasein in unserer Neuzeit. Das wäre ein Gespräch gewesen!
Dir kommt das alles gar nicht so ungewöhnlich vor, Egon, du meinst sogar, so etwas paßt in unsere Stadt, wo doch ein anderer Schriftsteller, Václav Havel, vor nicht allzu langer Zeit als ehemaliger Dissident (so nennt man jetzt die politischen Untergrundkämpfer) und Häftling von einem Tag auf den anderen und dann über ein Jahrzehnt die höchste Würde im Staat bekleidet hat! Weil Prag, das sollte man niemals vergessen, weil Prag eben Prag ist.
Und weil Prag eben Prag ist, begleitet mich wortlos und konstant dieses Wesen, das gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen vermag, mir weder Ratschläge erteilt noch beurteilt, was ich tue, mir auch nicht zur Seite springt, sondern einfach nur dabei ist, sowie ich etwas erfahre, unternehme,erlebe. Diese Erscheinung ist kein über mir segelndes Wölkchen, auch keine Engelsgestalt. Ein Wesen, das, so undefinierbar es auch ist, auf mich eine beruhigende Wirkung ausstrahlt.
Als wir beide in dieser Gasse wohnten, Egon Erwin Kisch, und deine Mutter noch würde- und liebevoll im Bärenhaus das Sagen hatte, befand sich zwischen eurer Nr. 14 und meiner Nr. 7 ein kleines Bordell. Es war nicht weiter auffallend und schien im ganzen reibungslos zu funktionieren. Nur selten gab es dort in später Nachtstunde ein Handgemenge, einen kurzen Krawall auf der Straße. Da kreischten ein paar Mädchen, ein paar Polizisten schwangen drohend ihre Gummiknüppel, aus den Fenstern der umliegenden Häuser schimpften die aus ihrem Schlaf gerissenen Menschen, und spätestens in einem Viertelstündchen war die Ruhe wieder hergestellt. Manchmal wurden dabei einige der männlichen und einige der weiblichen Personen auf dem nächstliegenden Polizeikommissariat vorgeführt, bald aber wieder freigelassen.
Was du kaum voraussehen konntest und vielleicht bis heute gar nicht weißt, mein lieber Egonek, ist die in letzter Zeit durchgeführte Installierung eines »Sex Machine Museums« im Nebenhaus von Nr. 14.
Im Erdgeschoß des mit dieser Nummer versehenen Bärenhauses, wo fünf Brüder auf die Welt gekommen sind, unterhielt Vater Hermann Kisch einen Tuchladen. Dort wird jetzt wie an allen Ecken und Enden der Stadt Glas verkauft. Dieser geradezu verblüffende Umstand hat bei mir die Phantasievorstellung erweckt, daß nunmehr auf der ganzen Welt, vor allem in Japan und den USA, jeder Schluck Wein aus böhmischem Glas genippt wird. Daswäre ganz
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